Sprache für die Inklusion: Schlüssel zu den Herzen
Omar, du hast viel erlebt – und trotzdem strahlst du starke positive Energie aus, machst Kabarett, hast bei den Dancing Stars mitgetanzt. Wie geht das?
Vielleicht gerade deswegen … Alles, was ich erlebt habe, hat mich erst zu dem gemacht, was ich heute bin. Es war auch eine bewusste Entscheidung, wie ich mit dem Erlebten umgegangen bin, mit den Schwierigkeiten, mit der Gewalt, mit all den unschönen Dingen in meinem Leben. Der Weg zu meinem heutigen Ich war auch ein Prozess der Versöhnung und so konnte sich meine Vergangenheit ins Positive verwandeln und nicht ins Negative.
Möchtest du uns über deine Flucht nach Österreich erzählen?
Ich bin aus Syrien weggegangen, weil ich als junger Mann nicht Teil der Gewaltmaschinerie sein wollte. Ich war nicht bereit Waffen zu tragen und auf Menschen zu schießen. Daher habe ich mich bewusst dafür entschieden, auf mein damaliges Leben, auf meine Familie, meine Freunde, meine Arbeit zu verzichten und machte mich auf den Weg. Zuerst ging ich in den Libanon. Ich dachte damals, ich würde in ein paar Monaten nach Hause zurückkehren können. Aber bald erkannte ich, dass das nicht der Fall sein würde, da sich die Situation in Syrien noch weiter verschlimmerte.
Nach acht Monaten bin ich in die Türkei geflogen. Da war ich weitere acht Monate und habe versucht dort anzukommen. Das waren keine schönen Erlebnisse, ich war auf der Flucht wie eine Maschine, nur billiger und leichter zu ersetzen, wie eine billige Arbeitskraft.
Aber auch in dieser Zeit wollte ich meine positive Energie nicht verlieren. Das war eine Entscheidung, die ich getroffen habe: Die Rahmenbedingungen konnte ich nicht ändern, ich konnte nur ändern, wie ich mit der Situation umging.
Warum Österreich?
Nachdem ich Syrien verlassen hatte, dachte ich nicht, dass ich nach Österreich oder überhaupt nach Europa kommen würde. Österreich war nicht mein Ziel, aber irgendwie hat mich mein Schicksal hergeführt. Irgendwann in der Türkei habe ich kapiert, dass ich hier nicht weiterkam. Ich wurde nicht als Mensch wahrgenommen und suchte einen Platz, wo ich als Mensch in Frieden, Freiheit und Würde leben kann. Und irgendwann saß ich mit 29 anderen Personen in einem Schlauchboot, das für sieben, acht Personen gemacht war. So kam ich im Jahr 2014 über Griechenland, das Mittelmeer und die Balkanroute nach Österreich, wo ich heute noch lebe. Ich habe schon davor, im Libanon und in der Türkei, versucht anzukommen, aber das ist mir nicht gelungen. Hier ist es mir gelungen …
Was waren deine ersten Eindrücke und Gedanken, als du ankamst? Was waren deine Wünsche und Träume
Nun, es war Ende November, es war bitterkalt, ich stand da im Burgenland, in Turnschuhen, ohne Socken. Dann in Tirol sehr viele Berge, sehr viel Grün, landschaftlich war es das Paradies, ich dachte, dass es das nur im Zeichentrickfilm „Heidi“ gab … Ich war 16 Tage in Tirol, dann wurde ich in die Steiermark geschickt, da war es richtig schön.
Auf dem Berg in Tirol, wo es nichts außer dem Flüchtlingsheim gab, dachte ich: Warum bin ich so weit weg von den Menschen, warum wurde ich isoliert? Das war kein positiver Gedanke, aber ich konnte ihn überwinden, indem ich Sport gemacht und die Natur betrachtet habe.
Am Anfang ging es nur darum anzukommen, Sicherheit zu finden. Auf der Flucht verliert man sehr viel, auch Teile von sich, sein Bewusstsein. Meine Wünsche damals waren ganz einfach: Leben, Normalität, Freunde. In der Steiermark habe ich nach drei Monaten begonnen nach Freunden zu suchen, Menschen kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen. Da wurde der Traum geboren, auf Deutsch zu schreiben. Ich habe eine Geschichte und die will ich weitererzählen – das war eine sehr gute Motivation, um die Sprache zu erlernen …
Wie war es für dich hier Fuß zu fassen? Was waren die größten Herausforderungen? Wie lange hat es gedauert, bis Österreich für dich zur Heimat wurde?
Ich hatte Glück, dass ich immer die richtigen Menschen kennengelernt habe. Menschen, die freundlich zu mir waren, die mich angelächelt haben, die mich einfach wahrgenommen und mir das Gefühl der Sicherheit gegeben haben. Sie haben mir das Gefühl gegeben, dass ich dazugehöre.
Die größte Herausforderung war die Sprache und die Angst, etwas Falsches zu machen, ohne es zu wissen. Ich war auf mich gestellt. Ich durfte ein Jahr lang nicht arbeiten, weil ich vom Status her Asylwerber und nicht Asylberechtigter war. Alles war fremd hier. Ich konnte die Sprache nicht. Ich habe keine Menschen hier gekannt. Ich war einfach fremd. Und diesen Aspekt konnte ich dann in das Positive verwandeln, indem ich gedacht habe: Ich bin eh fremd, also ist es eh wurscht, wenn ich Fehler mache. Keiner kennt mich hier. Und ich versuchte einfach Deutsch zu sprechen – auch wenn es durcheinander und falsch war. Die Sprache – das sage ich auch immer in meinen Workshops oder Seminaren – ist das Wichtigste, sie ist der Schlüssel zu den Herzen, zum Ankommen, um mich hier mit Menschen, mit meinen Mitmenschen verknüpfen zu können.
Mein erstes Buch hieß: „Danke. Wie Österreich meine Heimat wurde.“ Ich war gerade drei Jahre hier in Österreich, als ich das Buch herausgebracht habe. Inzwischen bin ich österreichischer Staatsbürger, damals aber nicht. Und trotzdem sagte ich: Wie Österreich meine Heimat wurde, weil das ist auch für mich eine Entscheidung war. Das ist ein Gefühl der Zugehörigkeit, das ich in mir selbst weckte – denn es wird immer Leute geben, die mich ausschließen und mich nicht als Österreicher akzeptieren. Ich schließe mich einer sehr schönen Aussage einer Schrittstellerin an: „Heimat ist da, wo ich das Gefühl habe, dass ich mitgestalten will, ohne dass ich gefragt werde.“ Denn es geht mir schon auch darum, was hier passiert. Ich will teilnehmen, ich will mitgestalten und dieses Gefühl war schon eigentlich sehr schnell da – später mit der Staatsbürgerschaft wurde es stärker und auch als ich heuer das erste Mal gewählt habe oder wählen durfte.
Du sprichst perfekt Deutsch. Welchen Stellenwert hat Sprache für dich?
Sprache ist das wichtigste Werkzeug des Friedens. Wer Wörter kennt, braucht keine Schläge. Wer sich mit den Wörtern auszudrücken vermag, muss nicht nach dem Gesetz des Stärkeren leben. Sprache ist unglaublich wichtig. Die Sprache – das sage ich auch immer in meinen Workshops oder Seminaren – ist der Schlüssel zu den Herzen, zum Ankommen, um mich hier mit Menschen, mit meinen Mitmenschen verknüpfen zu können, für das Leben hier. Ich sage immer zu anderen: Tue das nicht für andere, tue das nicht für die Integration, weil es irgendjemand von dir verlangt, sondern tue das für dich. Ich habe selbst gemerkt, als ich am Anfang Deutsch gesprochen habe und wirklich gebrochenes Deutsch, haben die Leute anders auf mich reagiert, weil ich es versucht und mich interessiert gezeigt habe. Wenn ich ankommen, meinen Traum leben will, dann sollte ich die Sprache lernen.
Gedichte sind für dich ein wichtiges Ausdrucksmittel – wann hast Du mit dem Dichten begonnen und welche Rolle spielen deine Poetry Slams für dich? Schreibst du deine Gedichte auf Arabisch oder Deutsch?
Ich schreibe generell eher auf Deutsch, aber wenn ich Gedichte schreibe, dann sehr gerne auf Arabisch. Ich habe mit 16 mit dem Schreiben begonnen. Dabei habe ich mich gar nicht so für das Schreiben oder Bücher oder Poesie interessiert. Ich war eher der typische Bub, der Fußball spielt, und der coole, starke Mann sein will. Ich war sehr gefangen in diesem Muster bzw. in dieser Geschlechterrolle, aber einmal hat mich ein Lehrer zu einer Lesung mitgenommen. Er war engagierter als die anderen, weil sonst hatten wir eher Angst vor unseren Lehrer:innen, denn Gewalt war eine Erziehungsmethode. Ich bin mit ihm in meinem Stadtteil , in einem vor Ort vor Damaskus, hingegangen, weil ich dachte, dann bekomme ich bessere Noten.
Es waren so um die 30 Leute, ein kleines Publikum, und vorne stand ein Mann, ein Dichter, und hat Liebesgedichte vorgetragen. Er war unglaublich stark in dem, was er machte. Da hat es Klick bei mir gemacht. Es hat mich so fasziniert, dass ich am nächsten Tag gleich so schreiben wollte im englischen Unterricht. Ich von dem Lehrer erwischt und der hat mich verspottet, aber ich habe weitergeschrieben, das waren erst einmal kindische Versuche, Liebesgedichte. 2011 hat sich das geändert mit der Situation in Syrien, mit den Demonstrationen und mit all dem, was gekommen ist. Da habe ich mir das erste Mal Fragen gestellt wie: Was ist Freiheit? Wer bin ich? Was ist Heimat? Und da gab es sehr viel Stoff, um darüber zu schreiben.
Später, auf dem Weg, auf der Flucht und die erste Zeit hier in Österreich war das Schreiben eine Methode des Oberlebens, eine Methode der Therapie, eine Methode um mich spüren zu können, mich nicht zu verlieren. Dass ich geschrieben habe, das hat mir geholfen. Es war wirklich eine Art Therapie, auch gerade in diesen zwei Jahren auf der Flucht in Libanon und in der Türkei.
Dein Rat für Neu-Ankömmlinge in Österreich? Was können sie tun, um sich hier wohlzufühlen?
Also das Erste, was ich empfehlen würde, ist eben die Sprache zu lernen. Und mein zweiter Rat ist, dass sich die Menschen nicht in ihrer Community einsperren, sondern dass sie ausbrechen, rausgehen, einfach neugierig auf ihre Mitmenschen, Österreicher:innen sind. Manchmal schließt man sich durch eigene Unsicherheit aus, bevor einen die Leute ausschließen.
Also das heißt, dass ich bewusst Schritte auf die Leute zu mache.
Willst du dazugehören, warte nicht, dass jemand auf dich zukommt, sondern tue es. Auch wenn du vielleicht fünf Schritte machen musst, damit dir jemand einen Schritt entgegenkommt. Okay, du bist geflüchtet, du hast deine Heimat verlassen, das ist alles schwierig. Und ich kenne das und ich fühle das, weil ich das selbst auch erlebt habe.
Aber vergiss nicht, dass du hier auch sehr viele Chancen und Möglichkeiten hast. Also sperre dich nicht ein in einer Opferrolle. Das ist sehr gefährlich. Die Opferrolle ist teilweise sehr bequem und man gibt anderen die Schuld, dass etwas jetzt bei mir nicht funktioniert …
Du machst auch „Küchenkabarett“ – was sollen wir uns darunter vorstellen?
Ich koche sehr gerne und ich sage, ja, arabische Männer können sehr, sehr gut kochen. Und ich stehe gerne auf der Bühne. Meine Solo-Programme sind eine Mischung von Erzählung, Lesen, Performance und eben auch Kabarett oder Stand-Up Comedy. Und da es meine Stärke ist das, was ich gerne tue oder als Hobby mache, mit meinem Beruf zu verbinden, bin ich auf die Idee gekommen, beides zu kombinieren und Küchenkabarett zu machen.
Dabei unterhalte ich das Publikum nicht nur, sondern ich bekoche es auch. 60 Leute sitzen an einer großen Tafel und es gibt 14 verschiedene Gerichte, die von mir und meinem Team gekocht werden. Das heißt, dass ich schon am Vormittag in der Küche stehe und zu kochen beginne. Wenn die Gäste am Abend kommen, ist alles fast fertig. Ich bereite aber nicht von jedem Gericht 60 Mahlzeiten zu, sondern von einem vielleicht zehn, vom nächsten 15 und von einem anderen 7 … Das Ganze wird in der Tischmitte aufgetragen und es wird zusammen gegessen. Das schönste Feedback, das ich dafür bekommen habe, lautete: Familienessen unter Fremden. Man kennt einander nicht, aber man sitzt, isst zusammen, unterhält sich, teilt das Essen und man lacht.
Es ist auch schön für die unterschiedlichsten Anlässe und Gruppen, also für Unternehmen, Vernetzungstreffen, Mitarbeiter:innen, Kund:innen, oder für private Veranstaltungen, Familienanlässe, Feiern. Man bucht dieses Format einfach und dann komme ich mit meinem Team. Wir brauchen nur Platz zum Kochen. Die Gäste werden in dem Fall nicht von mir eingeladen. In Wien gibt es eine Location, die man mieten kann und da vermittle ich gerne, in anderen Bundesländern muss man sich selbst darum umsehen.
Welche Rolle spielen aus deiner Sicht Vorurteile und wie kann man sie überwinden? Was willst du in dieser Hinsicht Teilnehmer:innen deiner Workshops mitgeben?
Ich glaube, dagegen aufzutreten ist die Aufgabe sowohl der Araber:innen als auch der Österreicher:innen. Ich thematisiere diese Vorurteile – nicht, indem ich sage, das stimmt nicht, das sind eure Vorurteile. Nein. Z.B. in meinem Buch „Feig, faul und frauenfeindlich“ setze ich mich wirklich intensiv mit diesen Vorurteilen auseinander und schaue, wo sie herkommen, was haben sie mit der Realität zu tun, etc.
Worte, die kritisch sind, aber nach Versöhnung suchen, sind z.B.: Der Araber wächst in einem System auf, welches sehr viele frauenfeindliche Aspekte in sich trägt – das ist nicht rassistisch, sondern das entspricht der Realität. Allein der Begriff Ehre, der noch immer mit dem Geschlecht Organ der Frau verbunden ist, ist sexistisch und somit ist frauenfeindlich und Menschenverachtend. Man meint, die Frau hat ihre Jungfrühlichkeit zu bewahren, bis sie heiratet. Sollte sie diese verlieren, dann verliert sie und somit auch die Familie ihre Ehre, was in schlimmsten Fällen zu Ehrenmorden führen kann.
Ich als Mann finde, dass meine Aufgabe ist, dass ich meine Stimme erhebe, dass ich sage, wir sollen darüber reflektieren, wir sollen uns von solchen Mustern befreien. Und das ist etwas Schönes. Du verlierst nicht Teile von dir oder Teile von deiner Identität, sondern du entwickelst dich als Mensch. Ich versuche durch meine Arbeit in den Workshops sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten, aber nicht indem ich Jugendliche belehre, sondern indem ich sie stärke. Ich versuche sie da abzuholen, wo sie sich in ihrer Entwicklung befinden. Ich belehre sie nicht, sondern ich verstehe sie in erster Linie, weil nur wenn ich rtwas verstehe, kann ich es abbauen und eine Vertrauenebene schaffen. Dann kann ich sie inspirieren, ihnen etwas vermitteln. Ich versuche, sie zu stärken, indem ich sie an der Hand halte und sie mitnehme.
Das betrifft viele Themen, nicht nur Geschlechterrollen. Es sind mehrere Themen, die ich in meinen Workshops thematisiere: Geschlechterrollen, Gewalt, Sexismus, Ehre, Identität, Heimat, aber auch an sich zu glauben. Dabei gibt es sozusagen einen Koffer voller Methoden, die ich mit ins Klassenzimmer. Ich darf viel mit Jugendlichen arbeiten, wofür ich sehr dankbar bin.
In deinen Büchern setzt du dich intensiv mit Österreich auseinander – bringst du deine Conclusio bitte für uns auf den Punkt?
Österreich ist für mich ein buntes Land, in dem es sehr viele Möglichkeiten gibt. Ich habe aber das Gefühl, dass meine Mitmenschen das gar nicht mehr wahrnehmen oder wertschätzen. Viele sehen die Realität hier, auch was die Demokratie betrifft, als selbstverständlich an. Aber das ist es nicht, es ist tagtägliche Arbeit, wofür man die Stimme erheben soll. Und Demokratie bedeutet nicht nur, dass ich wählen darf, sondern viel mehr – wie die Anerkennung der Menschenrechte.
Es gibt aber auch sehr lustige Beschreibungen in meinen Büchern, wie etwa in „Sisi, Sex und und Semmelnknödel. Ein Araber ergründet die österreichische Seele“. In allen meinen Büchern springe ich immer zwischen der arabischen/syrischen und der österreichischen Welt, zwischen meinem damaligen Ich und meinem jetzigen Ich und ich reflektiere die eine Welt durch die andere, also die arabische durch die österreichische und die österreichische durch die arabische. Und daraus ergeben sich immer wieder sehr lustige Anekdoten und Geschichten und auch teilweise Missverständnisse.