Ist das nicht Privatsache?
Warum ist es wichtig, dass Unternehmen offen für LGBTIQ+ Personen sind? Ist die sexuelle Orientierung nicht Privatsache?
Stellen Sie sich vor, Sie sind heterosexuell und niemand darf das wissen. Was erzählen Sie am Montagmorgen in der Kaffeeküche vom Wochenende? Mit wem haben Sie den Urlaub verbracht? Wenn Sie versuchen, nicht darüber zu sprechen, bewegen Sie sich ins soziale Aus und wirken introvertiert, nicht teamfähig. So geht es vielen LGBTIQ+ Personen: Damit sie sich nicht outen müssen, verbiegen und verleugnen sie ihre Lebensrealität. Das kostet Energie, führt zu psychischer Belastung und mindert die Arbeitsleistung. Tatsächlich Privatsache sind die sexuellen Handlungen – die interessieren am Arbeitsplatz weder, wenn es um die heterosexuelle noch um homosexuelle Orientierung geht.
Aber das betrifft doch nur eine Randgruppe, oder?
Wenn es um die nicht-heterosexuelle Bevölkerung geht, sprechen wir von fünf bis 15 Prozent der Weltbevölkerung – auch in jeder Branche und auf jeder Hierarchieebene. Sie sind potenzielle Arbeitskräfte und Kund:innen.
Aber nicht nur Personen aus der LGBTIQ+ Community suchen sich heute bewusst Organisationen aus, die Diversity-Engagement zeigen. Die jungen Generationen erwarten von ihren (potenziellen) Arbeitgeber:innen ein Bewusstsein für Vielfalt und Maßnahmen in den verschiedenen Diversity-Dimensionen, selbst wenn sie nicht Teil der (LGBTIQ+) Community sind. Um sich entsprechend zu positionieren, braucht es die spezifische Perspektive im Haus: Das ist ein Wettbewerbsvorteil, denn auch LGBTIQ+ Personen kaufen lieber dort ein, wo sie wissen, dass keine Berührungsängste bestehen.
Top down oder Bottom up: wer macht den ersten Schritt?
Unternehmen schaffen den Rahmen, damit Mitarbeiter:innen den Rahmen nützen können. Denn gerade die sexuelle Orientierung und auch die nicht-normative Geschlechtsidentität (also eine Identität, die nicht weiblich oder männlich ist) sind nach wie vor mit großen Fragezeichen belegt und brauchen Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung.
Oftmals kommt ein Impuls aus der Mitte des Unternehmens: Das Top-Management erkennt dann die Notwendigkeit, dass ein intern-öffentliches Statement, Maßnahmen, Policies, Anti-Diskriminierungsrichtlinien, etc. notwendig sind, um aufzuzeigen, dass die Benachteiligung aller Gruppen – auch der LGBTIQ+ Community – nicht toleriert wird.
Diese Impulse brauchen manchmal nachhaltiges Dranbleiben, Aufzeigen von Benchmarks (was machen die anderen in unserer Branche in dem Thema), den Druck von Seiten CSR, Diversity-Verantwortlichen oder den Mitarbeiter:innen selbst.
Es braucht das OK von Seiten des Top-Managements. Dann kann es losgehen: im Rahmen von Workshops wird Bewusstsein gebildet. Engagierte Mitarbeiter:innen aus der LGBTIQ+ Community machen zumeist den Anfang – und sprechen sogenannte Straight Allys (heterosexuelle Verbündete) an, die sich als Multiplikator:innen einsetzen. Sie nützen ihre (internen) Netzwerke und Funktionen dafür, die Organisation mitzuentwickeln. Sie wollen dazu beitragen, dass das Arbeitsumfeld, die Organisationskultur, die Gesellschaft wertschätzender, diverser wird.
Sollte das heute nicht schon egal sein, wer mit wem das Leben teilt?
Das ist es leider noch nicht. Nach wie vor sind nur 25 Prozent der nicht-heterosexuellen Menschen out im Job. Im Umkehrschluss sind das 75 Prozent, die sich verbiegen, verleugnen, eine Parallelwelt konstruieren, aus Sorge vor Mobbing oder Karrierenachteilen (AK Wien 2018). Unternehmen können nicht auf die Potenziale verzichten, nicht warten, bis „der Trend“ vorübergezogen ist. Diversität ist Realität.
LGBTIQ+ Personen, die sich im Job nicht outen, investieren sehr viel Energie in dieses Versteckspiel. Bis zu 30 Prozent Leistungseinbußen müssen hingenommen werden, wenn Organisationen nicht den Rahmen schaffen, damit die Menschen zu ihrer Lebensrealität stehen können. Das ist dramatisch. Das müssen wir ändern.
Wie kann ich als Mitarbeiter:in aktiv werden?
Herauszufinden, was in welcher Diversity-Dimension bereits getan wird, ist der erste Schritt. Kenne ich jemanden aus der LGBTIQ+ Community – und ist diese Person out oder teilweise out im Job? Was tun andere Unternehmen (in derselben Branche oder Unternehmensgröße) bereits? Die Gruppe, die sich für das Thema engagieren will, formuliert Zielvorstellungen und trägt Argumente zusammen, um das Management für die Sache zu gewinnen. Dabei geht es auch um wiederholtes, (intern) öffentliches Commitment für Gleichstellung, Wertschätzung und Respekt aller Lebenskonzepte.
Nachhaltig gepflegte Regenbogen-Netzwerke werden zu Employee Resource Groups (ERG oder BRG für Business) entwickelt: Das Unternehmen erkennt, dass die Rückmeldungen bezüglich interner Prozesse, Marketingmaßnahmen, Sprache und Bildsprache, etc. zur Entwicklung beitragen können. Dies gelingt besonders dann, wenn das Netzwerk frühzeitig die Straight Allys eingebunden hat und so die Fühler in viele Unternehmensbereiche ausstrecken kann.
Wie kann ich als heterosexuelle Person zu mehr Inklusion und Toleranz beitragen?
Sichtbarkeit und Bewusstseinsbildung stehen an erster Stelle. Nach wie vor haben viele Menschen klischeehafte Bilder von schwulen Männern vor Augen. Lebensrealitäten von lesbischen Frauen, nicht-binären Personen oder intergeschlechtlichen Menschen sind bei einem Gutteil der Bevölkerung unbekannt. Die Medien sprechen über die „Schwulen-Ehe“ und zeigen in Beiträgen zur Vienna Pride vorrangig die besonders bunt geschminkten Menschen. LGBTIQ+ sind genauso vielfältig in ihrem Aussehen, ihrer Kleidergröße oder in ihrem Bedürfnis sichtbar zu sein. Und: Sie sind in jeder Branche und auf jeder Hierarchieebene anzutreffen.
Aufgabe der Gesellschaft – und jeder Person, die sich als Ally versteht – ist diese Vielfalt von Lebensrealitäten zu respektieren und die Bewusstseinsbildung zu fördern. Gerade bei Kindern und Jugendlichen müssen wir ein Selbstverständnis für verschiedenartige Lebens- und Partnerschaftsformen schaffen, damit sie für sich selbst entdecken können, wer sie sind – ohne Angst vor Ausgrenzung. Aufgabe der Wirtschaft ist ebenfalls Bewusstseinsbildung: vor allem Führungskräfte sollen sich mit dem Wert von Vielfalt auseinandersetzen und verstehen, welchen Mehrwert Inclusive Leadership, diversitätsorientierte Führung für die Zusammenarbeit, die Personalbindung und schlussendlich den Unternehmenserfolg bringen kann.
Zur Person
Astrid G. Weinwurm-Wilhelm ist Organisationsberaterin & systemische Coach mit dem Schwerpunkt Diversity Management. Sie bietet Führungskräfte- und Teamentwicklung an, die auch immer das Thema Diversity mitdenkt und hat eine Leidenschaft für spielerische Trainingsformate.
Ehrenamtlich engagiert sich Astrid Weinwurm-Wilhelm für die Sichtbarkeit von LGBTIQ+ Personen im Arbeitsleben. Sie ist Präsidentin der Queer Business Women und von Pride Biz Austria, dem Verband zur Förderung der Inklusion von sexueller Diversität in Wirtschaft und Arbeitswelt.
Begrifflichkeiten
- Sexuelle Orientierung – zu wem fühle ich mich körperlich und emotional hingezogen
- Geschlechtsidentität – wie fühle ich mich, welches Gender ist für mich das Richtige
- Binär – bezieht sich auf Zweipoligkeit, im Kontext hier weiblich – männlich. Nicht-binäre Personen fühlen sich weder männlich noch weiblich (die biologische Konstitution kann eindeutig sein oder auch nicht)
- Nicht-normativ – nicht der allgemeinen Norm entsprechend (hier der Norm von männlichen / weiblichen Geschlechtsidentitäten)
Das Akronym LGBTIQ+
Diese Abkürzung steht für die englischen Begriffe Lesbian, Gay, Bisexual. Aus geschichtlichen Gründen haben sich das T, I, Q und das + zu den sexuellen Orientierungen in diesem Akronym „dazugesellt“. Genau genommen sind T und I Fragen von Gender – denn es geht um die Geschlechtsidentität und nicht um die sexuelle Orientierung
- Das T steht für transgender: Transpersonen identifizieren sich nicht mit dem ihnen zugewiesenen Geschlecht. Dies hat aber nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun, sondern ist eine Frage der Geschlechtsidentität.
- Das I steht für intergeschlechtlich: Diese Individuen wurden mit Variationen der Geschlechtsmerkmale geboren: Chromosome, Sexualhormone, Keimdrüsen oder Genitalien. Manchmal äußerlich sichtbar, manchmal nicht. Intergeschlechtliche Menschen passen nicht in unser binäres Schema von männlichen und weiblichen Körpern. Aktuell steht der alternative Geschlechtseintrag (3. Option) nur für inter: Personen zur Verfügung, nicht aber für nicht-binäre Personen.
- Q steht für Queer: Ursprünglich wurde queer als Schimpfwort für schwule Männer verwendet, heute ist es eine positive Selbstbezeichnung. Als queer bezeichnen sich Menschen, die stereotype Geschlechterzuordnung ablehnen oder sich nicht auf eine sexuelle Orientierung festlegen
- Der Stern* oder das Plus+ inkludiert alle weiteren Geschlechtervariationen und Identitäten sowie sexuellen Orientierungen.