Bildung und Diversity: die Basis für das Miteinander
Bildung und Diversity: Im Bildungssystem wird die Grundlage für einen respektvollen Umgang mit anderen, für gelebte Vielfalt gelegt. Darum ist es wesentlich, dass die Lehrenden eine inklusive Bildungsumgebung schaffen. An der Pädagogischen Hochschule Kärnten werden Student:innen entsprechend auf ihren späteren Alltag in den Bildungseinrichtungen vorbereitet. Prof. Mag.a Magdalena Angerer-Pitschko, Institutsleiterin für Mehrsprachigkeit und Transkulturelle Bildung an der Pädagogischen Hochschule Kärnten, erläutert im Gespräch mit DIVERSITYGuide die Details.
Welchen Stellenwert hat Diversity an Ihrer Pädagogischen Hochschule und wie äußert sich dieser?
Fragen zu Diversität spielen an der Pädagogischen Hochschule Kärnten eine bedeutende Rolle. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass zukünftige Lehrer:innen und Elementarpädagog:innen auf die gesellschaftliche Vielfalt und auf den Umgang damit vorbereitet werden müssen. Dies betrifft auch die Fort- und Weiterbildung von Lehrpersonen und Elementarpädagog:innen. In verschiedenen Lehrveranstaltungen bemühen wir uns, Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen und den Studierenden auch Werkzeuge für den Umgang mit Diversität in Schulen zur Verfügung zu stellen. Dies umfasst die Auseinandersetzung mit individuellen Identitätsfragen ebenso wie den Umgang mit Vorurteilen, Stereotype, Diskriminierung, Rassismus, Ethnozentrismus … Wir haben dazu in den letzten Monaten einen Hochschullehrgang konzipiert, der ab Herbst 2024 für alle Pädagog:innen in Österreich angeboten wird und sich ausschließlich dem Thema Diversität widmet. Damit wollen wir einen zusätzlichen Beitrag leisten, um Lehrpersonen und Elementarpädagog:innen, die bereits im Beruf stehen, gut auf das Thema und die damit verbundene pädagogische Arbeit vorzubereiten.
An unserer Hochschule gibt es zudem zwei Organisationseinheiten, die sich gezielt mit Diversität befassen. Dazu gehört der „Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen“, der sich Problemen und Anliegen zur Gleichbehandlung der Geschlechter ohne Unterschied in ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Sprache, Weltanschauung und Alter in der Kolleg:innenschaft widmet.
Die Fachstelle für „Gender- und Diversitätskompetenz“ ist eine weitere Organisationseinheit der Pädagogischen Hochschule Kärnten, die sich insbesondere mit der Förderung einer diversitätsorientierten Gleichstellungsarbeit am Standort beschäftigt. Sie setzt sich für mehr Chancen im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit ein und bemüht sich durch diversitätsorientierte Seminare für die Kolleg:innenschaft, um Sensibilisierung zur Überwindung von Geschlechtersegregation und Ungleichheiten.
Welche Diversity-Dimensionen stehen bei Ihnen an der Hochschule insbesondere im Mittelpunkt, welche spielen in den heimischen Bildungseinrichtungen eine besondere Rolle?
Grundsätzlich bedeutet Diversität, dass Menschen unterschiedliche Lebenserfahrungen, Perspektiven und Merkmale besitzen. Wir sind vielfältig in Bezug auf Herkunft, sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität, äußeres Erscheinungsbild, religiöse Zugehörigkeit sowie individuelle Vorlieben und Überzeugungen. Wenn wir heute von Dimensionen der Diversität sprechen meinen wir im Kern, dass niemand aufgrund dieser Merkmale benachteiligt werden darf. Jede Person hat das Recht in ihrer Persönlichkeit respektiert zu werden und gleiche Bildungschancen zu erhalten. Bei Diversitätsfragen handelt es sich also um Fragen der Gleichberechtigung, darum, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im gesellschaftlichen Zusammenleben zu erkennen, zu respektieren und Vielfalt als Chance zu nutzen.
Der Begriff Diversität umfasst sieben Dimensionen, die sich in individuellen, strukturellen und sozialen Unterschieden sowie Gemeinsamkeiten von Gruppen und Menschen manifestieren. Diese beeinflussen, ob gesellschaftliche Ein- oder Ausgrenzung stattfindet. Dazu gehören das Geschlecht und die geschlechtliche Identität, die soziale Herkunft, das Alter, die sexuellen Orientierung, die ethnischen Herkunft, Religion und Weltanschauung sowie körperliche und geistige Fähigkeiten von Menschen.
In unserer Arbeit streben wir danach, allen Dimensionen der Diversität gerecht zu werden. Sowohl Hochschullehrende, Studierende als auch Lehrende in den Schulen sollen in Zukunft noch besser in der Lage sein, Vielfalt wertschätzend zu kommunizieren, Diversität als Bereicherung zu erkennen und gegen Diskriminierung in jeder Form aufzutreten.
Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass Lehrende schon im Lauf ihrer Ausbildung mit dem Thema Diversity in Berührung kommen, um diesen Aspekt bei ihrer Tätigkeit in Kindergarten und Schule entsprechend berücksichtigen zu können?
Vielleicht lässt sich die Wichtigkeit durch folgende Erläuterungen besser verstehen: Kein Kind wird mit Vorurteilen oder Stereotypen geboren. Allerdings wissen wir aus der frühkindlichen Entwicklung, dass es Meilensteine in der Erziehung gibt, die die Entstehung von Vorurteilen begünstigen können. Schön früh können Kinder Unterschiede bei Menschen erkennen, sei es die Hautfarbe, die Verwendung einer anderen Sprache oder auch körperliche Merkmale wie Beeinträchtigungen, usw. Die ersten Bezugspersonen eines Kindes spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie es lernt, andere Menschen zu bewerten. Wie sprechen diese Bezugspersonen über Menschen, die sich in Herkunft, Sprache, Körperlichkeit, etc. unterscheiden? Wie beurteilen Bezugspersonen andere Menschen und Menschengruppen? Wie beurteilen sie Vielfalt? Lernt das Kind, das vermeintlich Fremdes positiv besetzt ist, wird es die Welt durch diese Brille betrachten und Vielfalt als etwas „Normales“ ansehen. Lernt es von den Bezugspersonen jedoch, dass bestimmte Diversitätsmerkmale negativ behaftet sind, werden Vorurteile schnell entstehen.
Im Kindergarten und in der Schule begegnen Kinder weiteren wichtigen Bezugspersonen, ihren Elementarpädagog:innen und Lehrer:innen. Pädagogische Fachkräfte vermitteln ebenso Werte. Wie reagieren diese beispielsweise, wenn sich Buben als Prinzessinnen verkleiden oder in der Puppenecke spielen? Ist das eine Selbstverständlichkeit oder werden sie daran erinnert, dass Buben sich nicht als Mädchen zu verkleiden haben und mit einem anderen Spielzeug spielen sollten? Oder, wenn Kinder in einer unbekannten Sprache miteinander reden… Ist das erlaubt oder erfahren Kinder, dass sie in einer anderen Zielsprache miteinander reden sollten? Oft sind es wiederholte sprachliche oder nonverbale Handlungen, die Vorurteile verstärken. Wenn das Kind jedoch lernt, vielfältige Perspektiven einzunehmen und Vielfalt positiv wahrzunehmen, ohne in der eigenen Individualität eingeschränkt zu werden, werden Vorurteile gegenüber Personen und Gruppen verringert. Die meisten Vorurteile werden also erlernt, daher müssen Kindergärten und Schulen Orte sein, an denen „gelernte“ Vorurteile wieder verlernt werden sollten. Wir wissen aber, dass das Verlernen von bestimmten Bildern, Vorurteilen wesentlich schwieriger gelingt als das Erlernen von diesen.
Das heißt, dass unsere Reaktionen, ebenso wie soziale Medien und Peergruppen, Kinder und Jugendliche stark beeinflussen, sie ziehen daraus Schlüsse und bewerten dadurch die jeweilige Situation. Ein konstruktiver Umgang mit Diversität soll Kinder auf das Leben vorbereiten, denn unsere Welt wird täglich vielfältiger. Es ist wichtig, dass Kinder lernen, offen, respektvoll und wertschätzend mit anderen umzugehen, denn kein Kind möchte von sich aus ausgeschlossen werden. Kinder wollen Teil einer Gruppe sein, dazugehören und keine Ausgrenzung erfahren. Ein Kind oder Jugendlicher, der Ausgrenzung, Diskriminierung oder Abwertung erfährt, kann Schmerz und Angst empfinden und sich zurückziehen, was negative Auswirkungen auf die weitere Entwicklung haben kann. Wer seinen Selbstwert, seine Identität aufgrund eines Diversitätsmerkmales als gefährdet erlebt, kann auch den kognitiven Ansprüchen im Kindergarten und in der Schule nicht entsprechend Folge leisten.
Kinder und Jugendliche müssen also erfahren, dass Bildungseinrichtungen sie darauf vorbereiten, einen Wert zu haben und dass sie eine wichtige und sinnvolle Rolle in der Gesellschaft einnehmen, unabhängig von Diversitätskriterien.
Welche besondere Verantwortung kommt Lehrenden in Hinsicht auf Diversity und deren Verankerung in der Gesellschaft zu?
Die Bedeutung der Vorbereitung von Pädagog:innen auf diversitätsorientierte Herausforderungen in Bildungseinrichtungen ist unbestreitbar. In Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Universitäten werden nicht nur Wissen und Fertigkeiten vermittelt, sondern auch Werte und Einstellungen geprägt, die das Leben der Lernenden – wie zuvor erwähnt – nachhaltig beeinflussen können. Die Schärfung des Blicks auf Diversität ist also von entscheidender Bedeutung für eine inklusivere Zukunftsgestaltung. In einer Gesellschaft, die von Vielfalt geprägt ist, ist es unerlässlich, dass Pädagog:innen sensibilisiert sind für unterschiedliche Hintergründe, Identitäten und Bedürfnisse ihrer Schüler:innen. Eine inklusive Bildungsumgebung fördert nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern trägt auch zur Schaffung einer demokratischen und gesicherten Gesellschaft bei.
Zudem werden Geschlechterverhältnisse und Diversität in der Gesellschaft in unterschiedlicher Weise, besonders aber in Bildungseinrichtungen sichtbar. Hier werden Ungleichheiten und Unterschiede deutlich, die sich später auf das gesamte Leben der Lernenden auswirken können, sei es in Bezug auf das Einkommen, hinsichtlich der individuellen Bildungschancen oder der Möglichkeit zur Gestaltung eines selbstbestimmten Lebensweges. Bildungseinrichtungen und ihre Verantwortlichen spielen daher eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Benachteiligung und bei der Förderung von Chancengleichheit. Es ist die Aufgabe von Bildungsinstitutionen Rahmenbedingungen zu schaffen, die allen Lernenden, unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund, ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihren körperlichen Merkmalen eine bestmögliche Entwicklung zu ermöglichen. Dies erfordert gut ausgebildete Pädagog:innen, die in der Lage sind, die individuellen Stärken und Potenziale ihrer Schüler:innen zu erkennen und zu fördern. Ein qualitätsvoller Unterricht, der auf die Bedürfnisse aller Lernenden eingeht, sowie zielgerichtete Fördermaßnahmen sind dabei von zentraler Bedeutung. Eine inklusive Schul- und Bildungskultur sollte daher zukünftig eine grundlegende Prämisse jeder Bildungseinrichtung sein.
Insgesamt ist die Vorbereitung von Pädagog:innen auf die Herausforderung im Umgang mit Diversitäten ein zentraler Baustein für eine gerechtere und offenere Gesellschaft. Nur durch eine sensibilisierte und qualifizierte Pädagog:innenbildung können Bildungseinrichtungen zu sicheren Orten werden, in denen alle Lernenden die Chance erhalten, ihr individuelles Potenzial zu entfalten.
Wie werden Ihre Student:innen auf den Alltag im Bildungswesen in Hinblick auf Diversität vorbereitet? Wie theoretisch/praktisch ist der Unterricht, welche Aspekte stehen dabei im Fokus?
Wir legen den Fokus darauf, dass eine vertiefende und forschungsbasierte Auseinandersetzung mit Fragen zu Mehrsprachigkeit, transkultureller Bildung, Umgang mit allgemeiner gesellschaftlicher Heterogenität einen zielorientierten und sensiblen Umgang mit Diversität fördert und ermöglicht. Zukünftige Pädagog:innen werden dadurch in ihrer Fach-, Selbst-, Sozial- und pädagogischen Methodenkompetenz professionalisiert. Die Inhalte werden didaktisch so aufgebaut, dass thematische Zugänge aus mehreren Perspektiven beleuchtet und mit eigenen Erfahrungen verbunden und reflektiert werden. Wir konzentrieren uns darauf, dass unsere Studierenden über grundlegende Kenntnisse in Bezug auf plurale Gesellschaften verfügen, dass sie in der Lage sind, ihre eigene berufliche Rolle als Vorbild für einen positiven Umgang mit Diversitätsfragen wahrzunehmen und dass sie Bescheid wissen, welche Bedeutung soziale und kulturelle Ausdrucks- und Lebensformen für die individuelle und kollektive Identitätskonstruktionen ihrer Schüler:innen bedeuten.
Was wollen Sie Ihren Student:innen insbesondere mitgeben, was wünschen Sie sich, dass diese den von ihnen betreuten Kindern und Jugendlichen vermitteln werden?
Wir wünschen uns, dass unsere Studierenden durch die Ausbildung einen offenen und zukunftsorientierten Blick auf die Welt entwickeln und diese Werte auch an ihre Schüler:innen weiter geben.
Unsere Absolvent:innen sollen grundsätzlich in der Lage sein, einen differenzierteren Blick auf Diversitätsfragen legen zu können. Sie sollen dazu beitragen, dass Vorurteilsbildungen, Stereotype und jegliche Form von Diskriminierung, die im eigenen Unterricht oder am Lernort Schule geschehen, aufgegriffen und mit den Schüler:innen kritisch bearbeitet werden. Dabei ist es gleichzeitig wichtig, die Ich-Identität und Bezugsgruppenidentität ihrer Schüler:innen zu fördern und ein schulisches Umfeld zu schaffen, indem individuelle Unterschiede anerkannt und geschätzt werden. Ich hoffe, dass unsere Absolvent:innen auch erfahren haben, wie wichtig Vielfaltserfahrungen sind und dass sie diese Erfahrungen auch für ihre Schüler:innen grundlegen wollen, denn das schafft mitunter eine gute Voraussetzung für ein kritisches Nachdenken über gesellschaftliche Vielfalt.