Alle reden davon, aber wer tut’s wirklich?
Wenn Tradition und Zukunft aufeinandertreffen, knallt es manchmal ordentlich. Und das ist auch gut so, denn Veränderung braucht Anstöße. Oft genug kommen diese spät, langsam oder nie. Das kennen wir Österreicher:innen nur zu gut. Gerade hinsichtlich „Diversity & Inclusion“ ist das Bewusstsein dafür, dass es sich um keine Modeerscheinung handelt, die ohnehin von selbst wieder verschwinden wird und die man sinnvoll und nachhaltig zum Wohl der Mitarbeiter:innen, des Unternehmens und der Gesellschaft einsetzen kann, noch wenig ausgeprägt. Wir haben Deloitte Consulting-Partnerin und Social Innovation-Verantwortliche Elisa Aichinger um Ein- und Ausblicke gebeten und sie befragt, wie es um Diversität und Inklusion in Österreichs Wirtschaft wirklich bestellt ist.
Wie weit ist Österreich in Sachen Diversity in Arbeit und Wirtschaft im internationalen Vergleich gesehen?
Österreich ist im internationalen und europäischen bzw. DACH-Raum ein sehr traditioneller Raum – gerade, wenn es um Rollenzuschreibungen geht. Gemeinsam mit Deutschland und der Schweiz ist Österreich noch etwas hinten nach, wenn man es mit anderen Ländern vergleicht. So sind der Norden Europas und in gewissen Fragen auch der Osten Europas deutlich fortschrittlicher. Dort ist das Selbstverständnis, wen Arbeit betrifft, ein anderes. Bei uns ist es ein sehr stark verankertes Rollenbild, dass sich Frauen um die Familien kümmern und Männer die Verdiener sind. Das wird zwar durch ein verändertes Verständnis bei den Jungen bereits etwas aufgebrochen, aber die Strukturen sind noch nicht in dem Maße vorhanden wie in anderen Ländern – man denke z.B. an das Thema Kinderbetreuung.
Welche Möglichkeiten gibt es, die eingefahrenen traditionellen Strukturen im DACH-Raum aufzubrechen?
Die Frage der stereotypen Rollenbilder erinnert an einen Marathon: Es braucht viel Energie und Arbeit, um das Ziel zu erreichen und die traditionellen Strukturen zu verändern. Der Schlüsselpunkt, der in den Köpfen ankommen muss, ist: Ein Teil unserer Gesellschaft und nicht nur ein Teil der Frauen ist im Lauf des Erwerbslebens mit Nachwuchs konfrontiert. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass Kinder frühzeitig Zugang zu Sozialkontakten und Bildung außerhalb des Hauses erhalten – und dass die Eltern zugleich arbeiten können.
Wenn man die Politik und Gesellschaft betrachtet, dann stellt man fest: Es braucht Regulierungen, die Frauen die gleiche Teilhabe am Erwerbsleben eröffnen. Man kann beobachten, dass gesetzliche Regelungen Initialzündungen sind, die Unternehmen sehr wohl aufgreifen, indem sie dementsprechende Konzepte entwickeln.
Aus Unternehmens-Sicht ist entscheidend, dass man der Vielfalt einen Platz in der Unternehmensstrategie gibt, und zwar mit entsprechendem Gewicht. Sodann sollte man sich Ziele setzen – durchaus ehrgeizige, aber realistische Ziele –, daraus Maßnahmen ableiten und deren Wirksamkeit mittels Controllings überprüfen. Dieses Vorgehen trifft auf alle Facetten von Diversität zu und nicht nur auf Frauen.
Sie sprechen vor allem über Frauen – sollte man nicht alle Bereiche von Diversität betrachten?
Die Schwierigkeit in Bezug auf Diversity ist, dass etliche Facetten Tabuthemen sind. In vielen Bereichen wie Sexualität, Behinderung, Religion outen sich Menschen nur, wenn sie unbedingt müssen. Es gibt daher hohe Dunkelziffern. Dementsprechend eigenen sich die Bereiche „Gender“ oder „Alter“, um Diversity anzustoßen – weil sie erfass- und messbar sind.
Welchen Zusammenhang haben Diversity und Inklusion?
Der Mehrwert der Vielfalt entfaltet sich erst durch die Inklusion. Diversität ist die Voraussetzung, sie ist durch die Tatsache, dass verschiedene Menschen im Unternehmen tätig sind, vorhanden – mit der Inklusion treffe ich die Entscheidung, mir diesen Mehrwert zunutze zu machen. Erst Ausbildung und Perspektiven führen zum echten unternehmerischen Mehrwert. Kreativität entwickelt sich, man wird als Team innovativer. Die Vielfalt verschiedener Blickwinkel wirkt auch risikominimierend, weil weniger mögliche, auch negative, Auswirkungen einer Entscheidung übersehen werden.
Warum tun sich viele Unternehmen mit dem Thema Diversity und Inklusion so schwer, obwohl es offensichtlichen Mehrwert bietet?
Verschiedene Perspektiven von Team-Mitgliedern sorgen natürlich für Reibung. Daher etablieren sich gerade auf Führungsebene überwiegend homogene Teams – denn es bringt hohe Effizienz, wenn man schnell einer Meinung ist.
Sind in einem Team hingegen Diskussionen vorprogrammiert, geht es auf Kosten der Effizienz, zugleich werden aber Benefits für die Entscheidungs-Qualität ermöglicht. Heterogene Gruppen von Menschen sind klüger, als jene, die ein Thema einseitig betrachten.
Welchen Beitrag leisten Führungskräfte zur Inklusion in Unternehmen? Welche Unterstützung brauchen sie für ihre Tätigkeit?
Wir haben untersucht, was eine inklusive Führungskraft ausmacht und haben festgestellt, dass folgende Eigenschaften entscheidend sind: Neugier, Offenheit, Sensitivität für interkulturelle Unterschiede, Mut. Es hängt von der Führungsebene ab, welchen Stellenwert man in diesem Kontext der Effizienz zumisst und in welchem Maße man der Diskussion, der Generierung von Ideen, dem Konflikt Raum gibt.
Inklusion muss von der Unternehmensspitze strategisch verankert werden. Dabei ist es essentiell, dass das Top Management deutlich macht: Diversität hat Relevanz, um ein nachhaltig gesundes Unternehmen zu führen. Das mittlere Management ist dann sozusagen das Scharnier zu den Mitarbeiter:innen. Dort gibt es dann viele Signale, ob Diversity das „Walk the talk“ ist oder eine Ansage, die zu keinen Ergebnissen führt.
Den Human Resources kommt dabei ein wichtiger Stellenwert zu, denn je professioneller diese Prozesse aufgesetzt sind, umso mehr kann sich das mittlere Management auf diese stützen und umso einfacher wird die Arbeit.
Welchen Stellenwert hat Diversity Management in heimischen Unternehmen bereits?
Die erste Dimension, die an Stellenwert gewonnen hat, war das Alter. Aufgrund der demographischen Entwicklung hat man erkannt, dass man ein Risiko eingeht, wenn das Durchschnittsalter der Mitarbeiter:innen 50 Jahre beträgt und dass eine Durchmischung der Altersgruppen sinnvoll ist. Die nächste Dimension betrifft das Geschlecht – mit Themen wie Quotenregelungen oder Einkommenstransparenz.
Dazu kommt: Die aktuelle Arbeitsmarktsituation ist ein Turbo für Diversity, weil es an Arbeitskräften fehlt und der Handlungsbedarf in dieser Hinsicht enorm ist. Der Arbeitsmarkt ist bereits bunter, denn der lange prognostizierte demographische Wandel steht nicht mehr vor der Tür, sondern ist bereits da, ja es ist schon 5 nach 12.
Vor diesem Hintergrund sind für Unternehmen zwei Dinge wichtig: Dass man nachhaltig ein:e attraktive:r Arbeitgeber:in ist und dass man aus dem Potential im Unternehmen das meist Mögliche macht.
In welchen Hinsichten sehen Sie noch „Luft nach oben“?
Das Bewusstsein für diese Anforderungen ist bereits gewachsen, aber noch werden überwiegend punktuelle Maßnahmen getroffen, die nicht unter einem Hut stehen. Meist fehlt es an der strategischen Planung: Warum beschäftigen wir uns als Unternehmen mit Diversität? Es muss klar werden, dass es sich dabei nicht um einen sozialen Beitrag handelt, sondern um eine Standortnotwendigkeit.
Wesentlich ist zu definieren: Was motiviert mich dazu und welche „Geschichte“ erzähle ich nach innen und nach außen. Als ersten Schritt heißt es immer nach innen schauen, denn erst wenn ich intern Glaubwürdigkeit erreiche, kann ich nach außen authentisch auftreten.
Die Außenwirkung ist heute besonders wichtig, da Unternehmen durch Dienste zur Arbeitgeber-Bewertung wie z.B. Kununu oder Social Media gläsern geworden sind. Aufgrund der Äußerungen ehemaliger Mitarbeiter:innen oder von Bewerber:innen beginnen sich Arbeitsuchende schon ein Bild vom Unternehmen zu machen, bevor sie sich bewerben oder ihre Tätigkeit starten. Das heißt sie wissen sehr schnell, ob Authentizität da ist oder nicht.
Wie steht es um das Bewusstsein, dass Vielfalt Vorsprung bedeuten kann?
Aus unserer Wahrnehmung und aus zahlreichen Studien unseres Hauses wissen wir: Einem Großteil der Unternehmen – in unserer letzten Studie waren es 90 % – ist klar, dass der Arbeitsmarkt „Diversity & Inclusion“ erfordert. Auch die Charta der Vielfalt zeigt deutlich, dass es zahlreiche Unternehmen gibt, die die Vorteile erkennen. In Zahlen sind das 60 bis 70 %. Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen der Arbeitsmarktsituation, dem Arbeitskräftemangel und Diversität. Für jemanden, der sich der Arbeitsmarktsituation stellt, ist Diversität der primäre Erfolgsfaktor, um sich die aktuellen Möglichkeiten zunutze zu machen.
Die Schwierigkeit ist, das Bewusstsein auch in Taten umzusetzen. Man kann durch Diversität viel gewinnen – aber sie hat auch ihren Preis und stößt dementsprechend auf Kritik. So lautet eine klassische Antwort von Unternehmensseite, wenn man die messbaren Items Gender und Quotenregelung anspricht: „Das schränkt mich in meiner unternehmerischen Freiheit ein, Quotenregelungen blockieren mich in meinen unternehmerischen Entscheidungen.“
Was bringt Diversity Management dem einzelnen, dem Unternehmen und in der Folge der Gesellschaft?
Dem einzelnen bringt Diversity Management den Zugang zu Arbeitsmarktchancen und Karriere und damit zu finanzieller Sicherheit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Darüber hinaus wirkt Arbeit Selbstwert-stiftend, wenn sie überwiegend befriedigend ist. Sie trägt zum Sinn des Daseins bei.
Man spricht heute viel über Burnout, aber es gibt auch Boreout. Ist jemand unterfordert oder sieht keinen Sinn in seiner Tätigkeit, wirkt sich das negativ auf die Lebensfreude aus. Gepaart mit der Erkenntnis, dass wir alle heute eine längere Zeit im Arbeitsleben verbringen, sowohl in Arbeitsstunden als auch in Lebensjahren, wird die Freude und dass man idealerweise Lebensenergie aus der Arbeit gewinnt, zunehmend wichtig.
Für die Gesellschaft gibt es ebenfalls einen Mehrwert: Wenn es gelingt, möglichst viele Menschen in die Arbeitsprozesse zu integrieren, bringt das finanziellen Wohlstand und die Finanzierung unseres Sozialsystems.
Wie sieht der ganzheitliche Ansatz von Diversity Management aus?
Diversity ist wichtig, das Ziel ist aber Inklusion. Dafür ist es hilfreich, der Aufgabe eine Rolle zu geben – in Gestalt des Diversity Managers. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass Diversity Management nicht allein eine Aufgabe der Human Resources, sondern eine strategische Aufgabe mit HR-Prozessen ist. Es heißt Ziele formulieren und die gesetzten Maßnahmen beobachten, messen und kommunizieren – und zwar nicht nur Erfolge, sondern auch Misserfolge.
In diesem Zusammenhang sollte man auch überlegen, wie wirksam die Maßnahmen tatsächlich sind. Man hört von Unternehmen oft: „Wir tun so viel und es passiert so wenig“ – da gilt es das Bewusstsein dafür wecken, dass es kurz- und langfristige Ziele gibt. Wesentlich ist, dass die Maßnahmen bekannt und überschaubar sind.
Was macht Diversity & Inklusion für viele so schwierig fass- und umsetzbar?
Wichtig ist zu sagen: Kein Unternehmen, kein Management und keine Entscheider grenzen bewusst aus – aber das Integrieren macht Arbeit, braucht Zeit und geht zu Lasten der hohen Werte, Geschwindigkeit, Effizienz und rasche Entscheidung. Führung ist verbunden mit diesen Attributen – traditionell männlichen Eigenschaften. Langes Diskutieren hingegen wird Frauen zugeschrieben. Wir wissen aus unserer langjährigen Arbeit: Was sich Frauen von zufriedenstellender Arbeit erwarten, stimmt vielfach mit den Wünschen von Jungen, LGBTQ+ überein.
Gerade in Personal-Entscheidungsprozessen sind unbewusstes Cloning und Unconcious Bias (also unbewusste Voreingenommenheit durch Stereotype) häufig. Da sollte man bewusst überlegen, welche Zuschreibungen für den jeweiligen Job überhaupt relevant sind.
Wie häufig ist in Österreichs Unternehmen die Position eines Diversity Managers besetzt?
Es ist zu beobachten, dass diese Position in Österreich im Kommen ist, man findet sie mittlerweile häufiger. Aber den Diversity Manager als Hauptjob gibt es noch äußerst selten, weil wir ein KmU-Land sind. Viele Unternehmen haben auch kein HR-Management. In großen Unternehmen ist die Position eines Diversity Managers oft schon besetzt, wobei er meistens sehr HR-nahe oder im Arbeitsrecht angesiedelt ist. Wenn ich als Unternehmen nicht die Größe für einen Diversity Manager habe, ist es relevant, dass ich eine:n Mitarbeiter:in mit Diversity beauftrage.
Die Funktion des Diversity Managers zu besetzen ist ein erster Schritt, aber unserer Erfahrung nach ist es entscheidend, ihm eine wichtige strategische Rolle zu geben, nahe der Unternehmensspitze, wo auch das Buy in und Controlling angesiedelt sind. Kernaufgabe des Diversity Managers ist das mittlere Management bei seiner täglichen Führungsarbeit zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass es zu einer Kulturveränderung kommt.
Dabei ist es wichtig, dass er Kenntnis über die Kernprozesse hat, um das Killerargument „Bei uns funktioniert das nicht, weil es das Geschäft nicht ermöglicht“ ausschalten zu können.
Heißt das, die Funktion des Diversity Managers ist zeitlich limitiert, bis die Kulturveränderung im Unternehmen erreicht ist?
Der Transformationsprozess hört nie auf, gerade weil die Arbeitsmarktsituation, das Unternehmertum und die Arbeitswelt so schnelllebig geworden sind. Wenn ein Unternehmen fortschrittlich sein möchte, ist die Transformation Teil des Kernauftrages, um am Puls der Zeit zu bleiben.
Aber eine strategische Planung macht Sinn, wenn man in einer Phase ist, in der man Energie entfachen möchte. Es empfiehlt sich eine Dauer von 12 bis 24 Monaten dafür, denn man muss das Gefühl haben, dass es ein Ziel gibt und dass man dieses erreicht hat. Wichtig ist auch die Formulierung von Zwischenzielen, damit man Etappen erreicht.
Fakt ist, dass die Mitarbeiter*innen zur Managementaufgabe geworden sind, auch unabhängig vom DM ist es wichtig, jedem Menschen die Möglichkeit zu bieten, das Beste geben zu können.
Bei Diversität geht es letztlich nicht darum sie zu erzeugen, sondern sie zu managen. Vorhanden ist sie ja – nur kann es sein, dass ich sie nicht sehe, weil viele Teilbereiche tabuisiert sind.
Danke für das Gespräch!
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