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Feminismus, Bildung und gemeinsame Kämpfe

Die Philosophin, Autorin und Expertin für Diversität, Amani Abuzahra, im Gespräch darüber, warum Inklusion im Bildungsbereich beginnt – sowie über muslimische Frauen, Selbstbestimmung, Allys und die Notwendigkeit, feministische Kämpfe gemeinsam zu führen.
Foto Amani Abuzhara
© Michael Dürr
Amani Abuzahra, Philosophin, Autorin und Expertin für Diversität

Feminismus ist vielfältig – und braucht Engagement von allen Seiten. Feminismus bedeutet Gleichberechtigung für alle – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Religion. Doch immer wieder erleben muslimische Frauen, dass ihr Engagement für feministische Anliegen infrage gestellt oder gar ausgeschlossen wird. Warum wird Feminismus oft durch eine westliche, weiße Brille betrachtet? Und wie können wir zu einer inklusiveren Bewegung beitragen, die wirklich alle Frauen mitdenkt?

Über diese und weitere Fragen hat Astrid G. Weinwurm-Wilhelm mit Amani Abuzahra gesprochen. Die Philosophin, Autorin und Expertin für Diversität setzt sich seit Jahren für intersektionalen Feminismus und gegen antimuslimischen Rassismus ein. Ein Gespräch über Selbstbestimmung, Allyship und die Notwendigkeit, feministische Kämpfe gemeinsam zu führen.

Ein Kennenlernen der anderen Art: was sind deine drei Hashtags?, liebe Amani.
Das bin ich: schlagfertig, sensibel, selbstbewusst.

Das sind schon mal super Startvoraussetzungen. Wir wollen heute u.a. über das Patriarchat sprechen. Wie siehst du das Patriarchat in heutigen Gesellschaften, vor allem in Österreich?
Österreich ist nach wie vor eine patriarchale Gesellschaft. Ich würde mir wünschen, sagen zu können, es wäre anders. Aber leider ist die Realität ist eine andere. Wir haben nach wie vor auf vielen verschiedenen Ebenen eine Ungleichheit, nach wie gibt es einen relevanten Gender Pay Gap, Frauen verdienen deutlich weniger als Männer. Ich finde allerdings auch, dass es teilweise subtiler geworden ist: Frauenfeindliche oder unterdrückende Mechanismen sind nicht immer sofort sichtbar. Das Patriarchat wirkt auf verschiedenen Ebenen: Auf struktureller Ebene, aber auch auf zwischenmenschlicher. Ein trauriger Auswuchs des Patriarchats sind die Femizide, bei denen Österreich über dem EU-Schnitt liegt.

Ich sehe ein Phänomen der Gleichzeitigkeit. Es gibt viele gute Bemühungen, es gibt Menschen, die sich unglaublich engagieren und ein starkes Bewusstsein dafür schaffen. Dies zeigt sich bspw. auch in der Literaturwelt, in Romanen und natürlich in der Fachliteratur. Zum anderen merken wir, dass das Thema toxische Männlichkeit deutlich zunimmt, dass sich Menschen irgendwie auch viel mehr erlauben. Die Herausforderung unserer Zeit: wir haben noch einiges zu tun, damit sich dieses System nicht erhält.

Du hast toxische Männlichkeit angesprochen. Gerade die sozialen Medien scheinen es vielen Menschen zu erlauben, sich ganz unverblümt zu äußern. Wie siehst du das?
Das sehe ich auch so. Ich habe oft das Gefühl, die Menschen glauben, Social Media bzw. das Internet ist ein rechtsfreier Raum, da kann einfach alles hinausposaunt werden. Es gibt leider wirklich haarsträubende Meinungen, die rassistisch sind, aber auch sexistisch und frauenfeindlich. Wenn wir das differenziert betrachten wollen, ist dies natürlich toll, dass viele Menschen die Möglichkeit haben, ihre Meinung kundzutun. Das ist eigentlich ein demokratisierender Prozess: Meinungsvielfalt, Gegenrede, Korrekturen, wichtige Infos oder Studien, die verbreitet werden. Aber so eine Plattform ist auch wie ein Mikrofon, ein Verstärker. Und teilweise werden wirklich arge Meinungen verstärkt, ganz im Sinne von „ja mei, jetzt darf ich das auch mal sagen“.

Du sprichst in deinen Büchern oder auch Vorträgen immer wieder von intersektionalem Feminismus. Wie definierst du diesen intersektionalen Feminismus?Hier geht es für mich um diesen Blick auf die verschiedenen Facetten von Unterdrückung. Alleine das Frau-sein ist schon ein Aspekt, der zu Diskriminierung oder Ungleichbehandlung führt. Für die Muslimin kommt der antimuslimische Rassismus dazu. Für die Schwarze Frau kommt zusätzlich der anti-Schwarze Rassismus dazu. Außerdem verschiedene Facetten von Klassismus, also die Benachteiligung aufgrund einer sozioökonomisch schwächeren Position. Der intersektionale Feminismus bedeutet, dass ich mich nicht nur auf eine Facette fokussiere, sondern diese verschiedenen Mehrfachdiskriminierungen mitbedenke. Da könnte natürlich das Gefühl entstehen „Boah, das ist aber jetzt eine ganze Menge und lähmt uns“. Das ist wie ein Vergrößerungsglas und dadurch wird vieles erst richtig sichtbar. So sehen wir, welche Herausforderungen es in dieser Gesellschaft gibt, um dann bei diesen verschiedenen Punkten anzusetzen und gegen sie vorzugehen.Dieses Vergrößerungsglas in die Hand zu nehmen gefällt mir gut. Und ich möchte ergänzen: es dient auch dazu, sich Privilegien bewusster zu machen, die ich beispielsweise als weiße christlich sozialisierte Frau habe, im Vergleich zu einer Schwarzen muslimischen Frau. Um dann natürlich auch im Sinne von Allyship wirken zu können (Anm.: „Verbündete“ in Bezug auf Anti-Diskriminierung, Diversität, etc.).

Welche spezifischen Herausforderungen erlebst du als muslimische Frau, wenn du feministische Anliegen vertrittst?

Ja, wo fangen wir an? Also zum einen gibt es einige Frauen, weiße Feministinnen, die der Meinung sind, so wie sie Feminismus definieren, das sei der einzige Weg. Und jene, die es anders machen, die liegen einfach nicht richtig, das sei sogar antifeministisch oder rückschrittlich. Feminismus ist Selbstbestimmung, Selbstbehauptung und eine gewisse Unabhängigkeit auf ökonomischer Ebene. Es bedeutet aber auch über den eigenen Körper zu bestimmen. Mir wird dann abgesprochen eine Feministin zu sein, mir wird mein Engagement abgesprochen. Das reduziert mich, versucht mich einzuschränken. Diese Sichtweise deutet auf ein reduziertes Menschenbild, ein Weltbild von diesen weißen Feministinnen hin. Das ist eine große Herausforderung.

Zum anderen bemerke ich häufig Unwissen: Was heißt Feminismus eigentlich? Viele Männer fühlen sich davon abgeschreckt und glauben, man will ihnen jetzt was Böses und Muslimin ist sie auch noch. Eine irritierende Kombi, sozusagen. Ich habe gelernt, dass Irritation nicht immer schlecht ist. Irritation schafft Möglichkeiten. Wenn mich jemand als muslimische Feministin kennenlernt, hat diese Person auch die Möglichkeit die eigenen Schubladen zu sehen, die eigenen Irritationen. Denn ich, Amani, passe nicht ganz rein. Dann wird die Person (vielleicht) die „Schubladen umsortieren“. Insofern kann diese Irritation auch einen neuen Zugang, einen neuen Weg bewirken. Das ist natürlich ein spannender Prozess auf der Metaebene, aber so im Detail ist es für mich manchmal auch anstrengend.

Würdest du sagen, dass es leichter ist mit weißen Feministinnen einen Dialog zu führen und sie davon zu überzeugen, dass du genauso Feministin sein kannst, wie sie es für sich beanspruchen? Oder wäre es eher das Gespräch mit Männern, die sagen, „aha, auch eine Muslimin kann Feministin sein“?

Ich habe gemerkt, dass es generell schwierig ist, mit Menschen zu sprechen, die nicht offen sind, die nicht zuhören wollen. Oft ist es so, dass die Leute gar keine Fragen haben: Sie formulieren eine Frage, die aber gar keine ist. Das sind fixe Bilder. Früher habe ich mich wirklich bemüht, erklärt, Argumente und Beispiele gebracht. Und dann höre ich die Aussage: „Naja, das weiß ich jetzt gar nicht, ob ich das so glauben kann, ob du wirklich so selbstbestimmt bist, wie du das hier formulierst“. Ich reise quer durch Österreich, Deutschland, Schweiz. Allein wie ich lebe, ist schon feministisch, selbstbestimmt. Da ist kein Mann im Hintergrund, der neben mir Zug fährt. Das ist teilweise auch echt verschwendete Energie: Zeit, Geduld und der richtige Zeitpunkt sind notwendig. Ich erreiche Menschen leichter, wenn ich ihnen zuerst zuhöre, um zu verstehen, wo das Problem wirklich ist.
Sehr oft geht es nicht um mich, meine Lebensweise, sondern um die Person selbst, die generell negative Erfahrungen mit Religion oder Kirche gemacht hat. Sie übertragen das dann auf den Islam. Sie übertragen das auf mich als Frau. Und da kann ich noch so viel argumentieren und erklären. Es ist anstrengend, wenn Menschen nicht zumindest ein bisschen die Tür offen lassen, um gemeinsam ein offenes Gespräch zu führen. Es geht also darum, die offene Tür des Dialogs zu finden, damit Menschen mehr Verständnis für einander – und auch für die jeweiligen Religionszugehörigkeiten – entwickeln können. Wenn es um den Islam geht, wird in der quasi öffentlichen Debatte ja sehr häufig über das Thema Geschlechterrollen gesprochen. Du hast schon über deine eigene Position als selbstbestimmte Frau gesprochen.

Was sind für dich die größten Missverständnisse in diesen Diskussionen, besonders in diesem christlich geprägten, „westlichen“ Diskurs?

Ein großes Missverständnis: Menschen glauben, Musliminnen sind in ihrer Religion keine Subjekte und dann wird ihnen dementsprechend begegnet, indem sie quasi entmündigt, unsichtbar gemacht werden. Paradox. Tradierte Haltungen die immer wieder zu hören sind, bspw. die kann ja keine Entscheidungen alleine treffen, die muss sich immer absprechen. Da gibt es irgendeinen Mann, den Vater, den Sohn, den Bruder, den Onkel. Die Frauen werden immer in Beziehung zu jemandem gesehen und nicht als selbstständige Personen. Der Islam hat auch eine stark feministische Linie. Aus dem Koran und aus den verschiedenen Primärquellen gibt es auch eine unterstützende Position für Frauenrechte. Ich höre oft: Ja, darfst du das eigentlich? Ich persönlich mache bspw. viel Sport: Ja, aber wie geht das denn?, Ist das überhaupt erlaubt? Ja, das ist erlaubt! Oder ich höre: Ja, was tut die da? Das darf doch nicht sein.
Da kommt dann noch der rassistische Zugang dazu. Man glaubt, die Frau ist unterdrückt und unterdrückt sie erst recht.

Sehr viele Klischees und Vorurteile werden beim Islam geparkt. Die österreichische Politik und verschiedene Regierungen profitieren auch tatsächlich davon und fahren aufgrund von antisemitischem Rassismus Wahlerfolge ein. Wenn wir Wahlplakate ansehen, dann wird ständig markiert: das sind wir und das sind die anderen. „Wir sind nicht wie die“ funktioniert leider immer noch.

Was bräuchte es dafür als ersten Schritt?
Bildung auf vielen Ebenen. Und die beginnt schon bei ganz jungen Kindern: Welche Kinderbücher gibt es, welche Feste werden gefeiert und welche Lieder werden gesungen? Es braucht einfach ein Umdenken und eine Erinnerung an die österreichische Geschichte. Denken wir an die Donaumonarchie zurück, Bosnien-Herzegowina war Teil des Habsburger Reichs, es gab muslimische Mitbürger:innen und ein höheres Ausmaß an Toleranz mit dem Islam und Musliminnen als heute. Manche Menschen behaupten, wir hätten keine Erfahrung in Österreich mit dem Anderen, mit dem vermeintlich Fremden, aber das stimmt nicht: wir waren immer ein multireligiöses, vielsprachiges Imperium und könnten eigentlich aus der eigenen Geschichte lernen. Es braucht mutige Politiker:innen, die ein Interesse daran haben, anders zu regieren und andere Narrative zu bedienen.

Inwiefern hat der öffentliche Diskurs über den Islam und Frauen, z.B. mit der sogenannten Kopftuchdebatte, Auswirkungen auf die tatsächliche gesellschaftliche Teilhabe muslimischer Frauen?

Diese Diskussion ist sehr schädlich. Es gibt von Maria Pernegger, der österreichischen Wissenschaftlerin, die Media Affairs Analyse , in der sie analysiert hat, was die häufigsten Schlagworte in Bezug auf feministische Themen und Frauenpolitik sind: Kopftuch steht ganz vorne. Frauenpension, Vereinbarkeit, Beruf, Familie, etc. rücken ganz nach unten. Es wird sehr viel über das Kopftuch diskutiert. Das ist nicht nur für die Muslimin selbst schädlich, weil sie dadurch bestimmte Arbeitsstellen nicht bekommt und Angst geschürt wird. Das Kopftuch kommt mehr zur Sprache, als das Potenzial oder die Qualifikation der Person.
Auch gesamtgesellschaftlich ist die Debatte ein enormer Rückschritt. Frauenthemen insgesamt werden vernachlässigt. Wir verabsäumen die Möglichkeiten für Frauen im gesamten Land zu verbessern: bspw. Frauenpension, Vereinbarkeit, Absicherung und die ökonomische Unabhängigkeit.

Werfen wir einen Blick in die Arbeitswelt: Was können Organisationen konkret tun, um Frauen mit unterschiedlichen religiösen Bedürfnissen und kulturellen Hintergründen gleichberechtigt einzubeziehen?

Die Repräsentation ist wichtig – und zwar auf verschiedenen Ebenen. Wie schaut die Homepage aus, wer wird auf Social Media dargestellt, wie sieht es dann im Unternehmen selbst aus. Spannend ist aktuell auch, dass teilweise die Notwendigkeit des generellen Personalmangels zu Vielfalt in der Belegschaft führt. Vor einigen Jahren war es schwierig, als Lehrerin mit Kopftuch zu arbeiten. Inzwischen wird jede Lehrkraft gebraucht. Und es gibt ganz viele Lehrerinnen mit Hijab, die gute Arbeit leisten. Es braucht eine gewisse Offenheit, die Repräsentation auch wirklich zuzulassen – nicht nur in bestimmten Bereichen oder Ebenen Frauen – oder allgemeiner Menschen mit verschiedenen Differenzmerkmalen – einzustellen. Um dann doch wieder „einzuknicken“: ganz oben, da brauchen wir dann schon den weißen Mann. Wer sich nicht davor scheut, Vielfalt tatsächlich zuzulassen, wird im Endeffekt davon profitieren: das Unternehmen profitiert, die Menschen selbst profitieren. Was es aber auch braucht, sind Schulungen, gezielte Workshops, um sich immer wieder damit auseinandersetzen: Was bedeutet Diversität? Was bedeuten die verschiedenen Rassismen? Und wie kann ich daran arbeiten besser zu werden? Ideal wäre auch eine tatsächlich neutrale Meldestelle für Diskriminierung, an die sich Menschen wenden können, ohne Konsequenzen zu befürchten. Und: wenn ich schon träumen kann, dann bräuchte es noch Supervision: herausarbeiten, was da ist, womit wir arbeiten, was unsere Herausforderungen sind – und dadurch Weiterentwicklung ermöglichen.

In meinen Workshops in der Erwachsenenbildung bemerke ich, dass es sehr oft um Wertschätzung geht. Es gibt Konflikte, es gibt Vorfälle der Diskriminierung, des Rassismus. Manchmal geht es aber auch einfach darum, zu erkennen: der hätte sich über ein Danke gefreut, die hätte sich darüber gefreut, wenn ihr ein bisschen mehr Zeit, ein bisschen mehr Geduld entgegengebracht worden wäre. Und das hat überhaupt nichts mit Anderssein zu tun, sondern damit, einander als Mensch zu begegnen. Einander anzuerkennen und damit auch sich selbst diese Möglichkeit zu geben, die eigenen Gefühle zuzulassen.

Wir kennen auch in der Diversity-Forschung oder -Literatur, dass das Thema der Zugehörigkeit, auf englisch Belonging, so wichtig ist – natürlich schon immer wichtig war. Ich habe nach wie vor die Hoffnung, dass in den Unternehmen etwas weitergeht im Diversity-Kontext, in allen unterschiedlichen Facetten, weil es einen Personalmangel gibt, weil wir in wirtschaftlich dynamischen Zeiten leben, weil die jungen Generationen Erwartungen und Forderungen an die Arbeitgeber:innen stellen. Aber wir erleben auch einen ziemlichen Rückschritt, aktuell aus den USA getriggert, der uns auch, aufmerksam oder achtsam machen soll. In deinem Buch, Ein Ort namens Wut, schreibst du, die wütende Muslimin ist gesellschaftlich nicht akzeptiert. Auf die Demütigung, so ist die Erwartung, soll am besten Demut folgen. Welche Rolle siehst du für junge muslimische Feministinnen in Österreich, wenn es um die Gestaltung einer gerechteren Zukunft geht? Und was können andere tun, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen wollen?

Ich glaube, es wächst eine Generation junger Musliminnen heran, die sich als Teil dieser Gesellschaft wahrnehmen – da hat sich schon einiges verändert. Sie haben nicht mehr das Gefühl sich in die Geschichte einschreiben zu müssen, sich ständig zu erklären, um Teil der Gesellschaft zu sein. Sie sind hier geboren oder aufgewachsen, vielleicht später dazu gekommen, aber gehen hier in die Schule, machen eine Ausbildung, arbeiten. Beanspruchen für sich Ressourcen. Dazu gehört dann auch zu sudern, zu kritisieren, das ist ja auch eine gewisse österreichische, wienerische Eigenschaft – warum dann nicht auch als Muslimin? Wenn die Muslimin dann ins Ausland reist, dann merkt sie: sie ist doch österreichischer, als sie geglaubt hat.

Oder aber, dass sie davon ablässt, zu erklären, wie selbstbestimmt sie ist, wie feministisch. Sie erwartet sich keinen Willkommensschein: Wieso soll sie sich Anerkennung irgendwo holen, wenn sie weiß, dass sie ein Recht hat hier zu leben, zu wirken und das auch mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein einfordert. Inzwischen gibt es auch in den Medien, z.B. im ORF oder Standard, verschiedene Darstellungen, in denen sehr diverse Menschen vorkommen. Es gibt bspw. ein Format in dem einer Userin, einem User, einer Frage gestellt wird – dann gibt es ein Bild dazu. Zum Beispiel: Wann warst du das letzte Mal traurig? Oder welche gute Serie kennst du? Und ich finde es sehr schön, dass auch dann eine Frau mit Kopftuch abgebildet, wenn es um irgendein Thema geht, das gesellschaftlich relevant ist. Und nicht nur dann, wenn es um Religion geht oder noch schlimmer, um Deutschkurse.

Ja, es gibt noch viel zu tun. Aber ich finde es auch wichtig zu sehen, was es schon gibt an Gutem.

Wer wie ich in der Bildung arbeitet, braucht einen Blick der Hoffnung. Ich weiß nicht, wie Menschen das sonst machen würden. Ich jedenfalls finde ich es generell leichter durchs Leben zu kommen, wenn wir uns dessen bewusst sind, wie wirkmächtig wir eigentlich sind: Dass jede Person eine Handlungsmacht hat. Und deswegen finde ich das auch immer so schön, mit jungen Musliminnen zu arbeiten, ihnen in Erinnerung zu rufen, „Hey, wovon träumst du eigentlich? Was möchtest du denn erreichen“?

Und da sagen manche: Träumen? Soweit habe ich gar nicht gedacht. Das habe ich mir gar nicht erlaubt. Ich ermutige sie: Träume brauchen wir, um eine Vision zu entwickeln, wo wir uns hinbewegen wollen. Das haben wir vielleicht zu wenig in Österreich, Visionsarbeit. Generell, nicht nur auf Musliminnen bezogen. Weshalb sollten nicht auch junge Musliminnen das anstoßen? Ja, ich darf träumen und du darfst genauso träumen. Wir alle dürfen das, um uns in diese Richtung hinzubewegen. Damit der Traum dann Realität wird. Ein gutes Leben für alle nämlich.

Genial. Die Wirkmächtigkeit gefällt mir so gut. Es braucht das Bewusstsein, dass jede einzelne Person etwas dazu beitragen kann das eigene Umfeld mitzugestalten, die Potenziale zu entdecken und zu nutzen.

Was sollen oder können Allys dazu beitragen, dass die Gesellschaft besser wird, dass antimuslimische Rassismen aufgelöst werden?

Es gibt dieses Zitat: „If you are not angry, you are not paying attention”. Es braucht attention, Aufmerksamkeit: Was brauchen Betroffene denn eigentlich? Wie können wir unterstützen?

Allys sind nicht betroffen, aber sie sind mit-wütend. Sie sind auch nicht einverstanden mit den Umständen, die wir geschaffen haben. In denen manche Menschen ausgeschlossen werden aufgrund von Gründen, für die sie nichts können: Schwarzsein, einer gewissen Religion anzugehören oder einer ethnischen Identität. Es gibt viele Gründe, weshalb eine Person Rassismus erlebt. Wenn eine Person selbst nicht betroffen ist, kann sie klar Haltung beziehen: Nein, ich akzeptiere das nicht! Genau das braucht es: Aufmerksamkeit, ein offenes Ohr, herausfinden, was Betroffene wirklich brauchen. Was es nicht braucht ist, zu glauben, „ich definiere, was genau jetzt Rassismus ist – ob etwas rassistisch war, oder nicht.“ Allysein bedeutet auch, von den eigenen Möglichkeiten abzugeben, jemand anderen davon profitieren zu lassen und einen gewissen Ausgleich der Privilegien zu unterstützen.

Der Privilegienausgleich als große Idee von Allyship. Ein tolles Schlusswort, danke liebe Amani Abuzahra.

Das gesamte Interview zum Anhören findest Du hier: QR Code

 

Über Amani Abuzahra

Die promovierte, interkulturelle Philosophin, Autorin und Expertin für Diversität und Inklusion zählt zu den führenden Expert:innen für antimuslimischen Rassismus in Österreich. Ihre Forschung und Vorträge haben sie unter anderem in die USA, nach Finnland, Italien, die Schweiz, Deutschland sowie an die Universitäten von Istanbul und Eskişehir geführt.

Über Astrid G. Weinwurm-Wilhelm

Die Organisationsberaterin unterstützt bei der Umsetzung von Diversity Management. Mit ihren erlebnisorientierten Workshops und Großgruppen-Formaten unterstützt sie die Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung zum Thema Vielfalt. Durch Ansätze aus Game Based Learning gelingt es ihr, Mitarbeiter:innen Diversity Kompetenzen spielerisch und praxisnah zu vermitteln. www.blickweisen.at
Ehrenamtlich engagiert sich Astrid Weinwurm-Wilhelm für die Sichtbarkeit von LGBTIQ+ Personen in Wirtschaft und Arbeitswelt. Sie ist Präsidentin der Queer Business Women* (www.qbw.at) und Vize-Präsidentin von Pride Biz Austria (www.pridebiz.at).

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