Probier’s mal mit Respekt!

Respekt und Vermeidung von Stereotypen spielen schon im Kindesalter eine große Rolle. Die gelebte Realität ist oft ganz anders: „Geh doch zu deinen Puppen!“, „Mädchen können nicht Fußball spielen“ – mit diesen und ähnlichen Sätzen werden oft schon im Kindergarten die Rollen zugeteilt und „Reviere“ abgegrenzt. Denn Stereotype werden Kindern vielfach schon von den Eltern in die Wiege gelegt.
Wie ausgeprägt sie sein können, zeigt etwa die derzeit angesagte „Gender Reveal Party“, ein Fest rund um die Frage „Bub oder Mädchen“. Höhepunkt ist die Enthüllung des Geschlechts durch das Anschneiden eines rosa oder blauen Kuchens, den „Gender Reveal Cake“, durch das Anstechen eines mit Glitter oder Farbe gefüllten Ballons oder Balls, etc.
Mittlerweile ist diese Art von Party aber sogar bei ihrer Erfinderin, der US-Bloggerin und Anwältin Jenna Karvunidis, durchaus umstritten. Denn: Ist das Geschlecht eines Babys wirklich so wesentlich? Sollten wir als Gesellschaft nicht schon über derartige Kategorisierungen hinweg sein? Wer das Leben mit Klischees beginnt, bekommt wohl unweigerlich geschlechtsspezifisches Spielzeug, eine ebensolche Erziehung und Ausbildung. „Es gibt so eine Geschlechts-Besessenheit, dass es in vielen Hinsichten einschränkend und in anderen ausnützend ist“, stellt Erfinderin Jenna Karvunidis im Interview mit dem „Guardian“, fest. „Ich möchte nicht, dass das, was zwischen den Beinen ist, den Weg im Leben bestimmt. Ich möchte, dass meine Kinder in einer Welt aufwachsen, in der Geschlecht keine Rolle spielt.“ Und das dabei ist Gender nur eine der Diversity-Dimensionen, die sich auf Stereotype gründen …
Bezugspersonen: Filter der Wirklichkeit
Drin. Silke Preymann, Wissenschaftliche Leitung Diversity Management an der FH Oberösterreich stellt dazu fest: „Man stößt hinsichtlich Diversity auf Vorurteile, dabei geht es dann um Awareness. Es ist in dieser Hinsicht noch viel Bewusstseinsbildung zu leisten.“ Die Basis dafür wird in der Kindheit gelegt, so Prof. Mag. Magdalena Angerer-Pitschko, Institutsleiterin für Mehrsprachigkeit und Transkulturelle Bildung an der Pädagogischen Hochschule Kärnten: „Kein Kind wird mit Vorurteilen oder Stereotypen geboren. Allerdings wissen wir aus der frühkindlichen Entwicklung, dass es Meilensteine in der Erziehung gibt, die die Entstehung von Vorurteilen begünstigen können. Schön früh können Kinder Unterschiede bei Menschen erkennen, sei es die Hautfarbe, die Verwendung einer anderen Sprache oder auch körperliche Merkmale wie Beeinträchtigungen, usw.“
Das Umfeld des Kindes ist für seine weitere Entwicklung entscheidend. Die Expertin: „Die ersten Bezugspersonen eines Kindes spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie es lernt, andere Menschen zu bewerten. Wie sprechen diese Bezugspersonen über Menschen, die sich in Herkunft, Sprache, Körperlichkeit, etc. unterscheiden? Wie beurteilen Bezugspersonen andere Menschen und Menschengruppen? Wie beurteilen sie Vielfalt? Lernt das Kind, das vermeintlich Fremdes positiv besetzt ist, wird es die Welt durch diese Brille betrachten und Vielfalt als etwas „Normales“ ansehen. Lernt es von den Bezugspersonen jedoch, dass bestimmte Diversitätsmerkmale negativ behaftet sind, werden Vorurteile schnell entstehen.“
Die Vorbilder in der Familie spielen dabei eine große Rolle, da Kinder Rollenverhalten durch Nachahmen lernen. Nach dem Motto: „Papa, Mama, Opa, Tante sagen doch immer … das ist ganz bestimmt richtig …“ Wir Erwachsenen sind also aufgerufen, uns kritisch zu hinterfragen und Respekt zu zeigen. Oft sind für Eltern ihre eigenen Aussagen nicht so stark, wie sie bei den Kindern ankommen. Unreflektierte Formulierungen können dann auf einen intensiven Nährboden fallen, wo sie Früchte tragen, die man so vielleicht gar nicht wollte oder nicht wollen sollte.
Vielfalt kennenlernen
Angerer-Pitschko skizziert die weitere Entwicklung: „Im Kindergarten und in der Schule begegnen Kinder weiteren wichtigen Bezugspersonen, ihren Elementarpädagog:innen und Lehrer:innen. Pädagogische Fachkräfte vermitteln ebenso Werte. Wie reagieren diese beispielsweise, wenn sich Buben als Prinzessinnen verkleiden oder in der Puppenecke spielen? Ist das eine Selbstverständlichkeit oder werden sie daran erinnert, dass Buben sich nicht als Mädchen zu verkleiden haben und mit einem anderen Spielzeug spielen sollten? Oder, wenn Kinder in einer unbekannten Sprache miteinander reden… Ist das erlaubt oder erfahren Kinder, dass sie in einer anderen Zielsprache miteinander reden sollten?“
Kindergärten und Schulen tragen entscheidend zur Grundhaltung der Kinder bei. Dabei ist Bewusstsein gefragt, denn: „Oft sind es wiederholte sprachliche oder nonverbale Handlungen, die Vorurteile verstärken. Wenn das Kind jedoch lernt, vielfältige Perspektiven einzunehmen und Vielfalt positiv wahrzunehmen, ohne in der eigenen Individualität eingeschränkt zu werden, werden Vorurteile gegenüber Personen und Gruppen verringert. Die meisten Vorurteile werden also erlernt, daher müssen Kindergärten und Schulen Orte sein, an denen ‚gelernte‘ Vorurteile wieder verlernt werden sollten. Wir wissen aber, dass das Verlernen von bestimmten Bildern, Vorurteilen wesentlich schwieriger gelingt als das Erlernen von diesen.“
Prägungen von Werten und Einstellungen
„Die Bedeutung der Vorbereitung von Pädagog:innen auf diversitätsorientierte Herausforderungen in Bildungseinrichtungen ist unbestreitbar“, ist die Expertin überzeugt. „In Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Universitäten werden nicht nur Wissen und Fertigkeiten vermittelt, sondern auch Werte und Einstellungen geprägt, die das Leben der Lernenden – wie zuvor erwähnt – nachhaltig beeinflussen können. Die Schärfung des Blicks auf Diversität ist also von entscheidender Bedeutung für eine inklusivere Zukunftsgestaltung. In einer Gesellschaft, die von Vielfalt geprägt ist, ist es unerlässlich, dass Pädagog:innen sensibilisiert sind für unterschiedliche Hintergründe, Identitäten und Bedürfnisse ihrer Schüler:innen. Eine inklusive Bildungsumgebung fördert nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern trägt auch zur Schaffung einer demokratischen und gesicherten Gesellschaft bei.“
An der Pädagogischen Hochschule Kärnten hat das Thema Diversity, Equality & Inclusion im Unterricht daher einen hohen Stellenwert. Angerer-Pitschko erklärt: „In verschiedenen Lehrveranstaltungen bemühen wir uns, Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen und den Studierenden auch Werkzeuge für den Umgang mit Diversität in Schulen zur Verfügung zu stellen. Dies umfasst die Auseinandersetzung mit individuellen Identitätsfragen ebenso wie den Umgang mit Vorurteilen, Stereotype, Diskriminierung, Rassismus, Ethnozentrismus … Wir haben dazu in den letzten Monaten einen Hochschullehrgang konzipiert, der ab Herbst 2024 für alle Pädagog:innen in Österreich angeboten wird und sich ausschließlich dem Thema Diversität widmet. Damit wollen wir einen zusätzlichen Beitrag leisten, um Lehrpersonen und Elementarpädagog:innen, die bereits im Beruf stehen, gut auf das Thema und die damit verbundene pädagogische Arbeit vorzubereiten.“
Jede:r einzelne, der bewusst für Inklusion steht, kann so zu einer Welt, in der Vielfalt gelebt und positiv erfahren wird, beitragen. Das gilt für uns alle, ganz besonders aber für die Menschen, Tag für Tag mit den nachfolgenden Generationen arbeiten. Sie legen den Grundstein für die Entwicklung der Kinder und somit der Gesellschaft.
Angerer-Pitschko bringt es auf den Punkt: „Die Schärfung des Blicks auf Diversität ist von entscheidender Bedeutung für eine inklusivere Zukunftsgestaltung. In einer Gesellschaft, die von Vielfalt geprägt ist, ist es unerlässlich, dass Pädagog:innen sensibilisiert sind für unterschiedliche Hintergründe, Identitäten und Bedürfnisse ihrer Schüler:innen. Eine inklusive Bildungsumgebung fördert nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern trägt auch zur Schaffung einer demokratischen und gesicherten Gesellschaft bei.“
Wie gelingt inklusive Erziehung?
Alltags-Tipps für Eltern und Bildungseinrichtungen
- Thematisieren Sie generell das Thema Diversity im Alltag und schärfen Sie das Bewusstsein der Kinder/Jugendlichen für die positiven Seiten der Vielfalt.
- Gehen Sie stets wertschätzend mit den Kindern/Jugendlichen und anderen um. Durch Nachahmen lernen diese am meisten – und Bezugspersonen sind starke Vorbilder.
- Gute Mobbing-Prävention an Schulen schafft eine Atmosphäre von Respekt und Wertschätzung, in der sich Vielfalt entfalten kann.
- Sprechen Sie mit dem Nachwuchs darüber, dass wir alle Individuen mit Stärken und Schwächen sind. Betonen Sie das anlassbezogen immer wieder.
- Achten Sie auf Ihre eigene Sprache. Wie äußern Sie sich über andere Menschen? Bleiben Sie auch in schwierigen oder ärgerlichen Situationen wertschätzend? Gendern Sie? Dabei ist zu bedenken, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Vielleicht meinen Sie manche Ausdrücke nicht so drastisch – aber Kinder können die Nuancen noch nicht unterscheiden.
- Bieten Sie den Kindern/Jugendlichen gezielt Ausflüge und Beschäftigungsprogramme an, in deren Rahmen sie andere Kulturen, Religionen, etc. kennenlernen. Erst was man kennt, kann man schätzen. Dazu gehören auch Berührungen mit Kunst, Kulinarik, etc aus anderen Ländern.
- Bilderbücher, Bücher und Filme sind geeignete Medien, um in andere Welten einzutauchen.
- Schaffen Sie Berührungen mit Role Models – an Schulen ist ein geeigneter Weg erfolgreiche Frauen bzw. weniger alltägliche Berufsvertreter:innen zu Vorträgen einzuladen.
- In Kindergärten oder Schulen erlangen Kinder durch interdisziplinäre Projektarbeit und klassenübergreifende Projekte eine breitere Perspektive.
- Verzichten Sie in der Erziehung bewusst auf Gender-Stereotypen. Wer sagt, dass ein Bub nicht mit Puppen spielen und ein Mädchen auf Bäume klettern soll? Die Individualität abseits der Geschlechter sowie anderer Diversity-Dimensionen sollte in der Familie wie in Bildungseinrichtungen im Vordergrund stehen.
- Fördern Sie die Kinder ihren tatsächlichen Begabungen und nicht Stereotypen entsprechend. MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) und -Berufe können und sollen auch für Mädchen interessant sein (Initiative des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung: www.mint-regionen.at)
Hier geht es zum Interview mit Mag.a Magdalena Angerer-Pitschko darüber, wie Student:innen auf ihren späteren beruflichen Alltag hinsichtlich DEI vorbereitet werden.