Respekt, ohne zu werten
Welche neuen Anforderungen an Arbeitende bzw. Arbeitgeber:innen sehen Sie auf uns zukommen?
Es gibt einige Megatrends. Erst einmal die Umstellung der Wirtschaft in Richtung Recycling, Energiewirtschaft, Klimafitness. Diese Entwicklung wird alles erfassen, sie hat nicht nur große Folgen für die Mobilität.
Der zweite Komplex ist die Digitalisierung, da sind wir bereits mittendrin, aber sie bekommt eine neue Dynamik durch „Artificial Intelligence“. Herausforderungen im Energiebereich lassen sich ohne Digitalisierung nicht lösen – das wird weniger Beschäftigung im klassischen Bereich bringen, aber neue Chancen in neuen Bereichen eröffnen.
Ein weiteres Thema ist die gezielte Migration – in den USA gibt es diese seit Jahrzehnten. In einigen substantiellen Bereichen wird diese auch bei uns notwendig sein. Die alternde Gesellschaft bringt große Veränderungen im Bereich Pflege und Gesundheit mit sich. Dienstleistungen in dem Bereich werden nie digitalisiert werden, denn ein Pflegeroboter ist „nett“, aber gefragt ist eine helfende Hand, in der Pflege wird man höchst qualifizierte Leute brauchen.
Haben sich die Erwartungen der Arbeitnehmer:innen verändert?
Unser Bildungssystem ist den aktuellen Anforderungen nicht gewachsen, weil es eine Illusion ist, dass man mit 19 Jahren genug weiß, um in verschiedenen Berufen arbeiten zu können. Das Thema ist: Wo passieren Ausbildung und Fort- bzw. Weiterbildung? Wir hatten bisher ein perfektes System der dualen Ausbildung, den Betrieb und die Lehre – wir werden Ausbildungsangebote brauchen für ältere Mitarbeiter, die ihren Beruf verlassen und umsteigen. Mittlerweile gibt es andere Curricula als früher. Jemand hat mir erzählt, er ist 70, war 56 Jahre lang im selben Beruf, einen Tag im Krankenstand, nie auf Urlaub – den Mitarbeiter gibt es nicht mehr.
Heute haben junge Menschen einen anderen Anspruch an Beschäftigung. In meiner Jugend war Beschäftigung die Bedingung dafür, dass sich jemand etwas leisten konnte, Überstunden waren sehr begehrt. Heute müssen wir uns mit dem Begriff „Work-Life-Balance“ beschäftigen. Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht, bei dem Riesenbedarf an Arbeitskräften sind die Arbeitnehmer:innen in einer anderen Situation.
Das beginnt mit der Mobilität – Arbeitnehmer:innen wollen wissen, wie sie an die Arbeitsstätte kommen, viele Junge wollen keinen Führerschein, kein Auto mehr. Ein anderer Punkt ist das geänderte Ernährungsverhalten, das übliche Kantinenessen muss ganz selbstverständlich eine vegane Komponente bieten. Kinderbetreuung ist ein Thema für die jungen Frauen. Für Ältere sind andere Fragen wesentlich wie zum Beispiel: Wenn sie nicht mehr im Drei-Schichtbetrieb arbeiten können – was machen sie dann?
Wie kann bzw. soll man darauf reagieren?
Es gibt einige Bereiche, in denen die Zuständigkeit bei den Sozialpartnern bleiben sollen, denn diese können rascher und flexibler reagieren. Wir haben in Österreich Unternehmensverbände, die sich ihrer sozialen Verpflichtung bewusst sind.
Vorrangig auf allen Ebenen ist das Thema Bildung, auch dass die Gleichstellung von Lehrabschluss und Matura effektiv umgesetzt wird. Der „Meister“ ist genauso wichtig wie der „Master“ und wir brauchen ein Bildungsangebot des „lifelong learnings“.
Wir können nicht mehr warten mit Maßnahmen, man möge sich nur den öffentlichen Sektor ansehen, wie viele Lehrkräfte in Pension gehen. Oder den Gesundheitsbereich mit seinem Personalmangel – ich bin nicht sicher, ob es klug ist, dass die Ärztekammer den Zugang zum Medizinstudium weiterhin begrenzen will.
In welchen Hinsichten sollte die Politik aktuell Weichen stellen?
Gesteuerte Migration und Arbeitszeitgesetzgebung sind Aufgabe der Politik, auch der grobe Rahmen für Lebensarbeitszeitmodelle. Damit geht die Bezahlung einher. Es ist üblich, dass das Gehalt jährlich steigt. Aber am Anfang der Karriere braucht man Einkünfte für die Familiengründung. Das heißt, das Entgelt sollte über den Lebensarbeitszyklus, nicht auf die einzelnen Arbeitswochen bezogen berechnet werden.
Gesundheit und Pflege ist ein großes Thema, das ausschließlich im Bereich der öffentlichen Hand, auch der Sozialversicherungsträger, liegt. Im Bereich der Rehab war das Konzept Jahrzehnte lang die stationäre Rehab – jetzt meinen viele, die ambulante sei effizienter, weil die Menschen dann auch weiterhin in die Prozesse am Arbeitsplatz integriert sind.
Die digitale Schulung ist ein weiterer wichtiger Bereich. Diese muss Teil der Ausbildung sein. Im Kindergarten und in der Schule passiert sie ja schon selbstverständlich – aber wo ist das Angebot für die 40jährige Mutter, die wieder einsteigt? Dieses liegt in der betrieblichen Verantwortung. Aber es war lange Zeit der Fehler zu glauben Digitalisierung passiere nur in großen Unternehmen. Sie betrifft jeden, auch in der Produktion, die in eine handwerkliche Tätigkeit einfließt.
Wie wird die „Künstliche Intelligenz“ Ihrer Meinung nach das Arbeits- und gesellschaftliche Leben verändern?
Die KI ist nicht zu verbieten. Man weiß aus Erfahrung – alles was technisch möglich ist, wird gemacht. Diskutiert wird ja aktuell, ob man KI besser kennzeichnen soll. Wenn ich von meinem Frühstücksei weiß, woher es kommt, ist es nur logisch, dass ich auch die Herkunft intellektueller Produkte kennen möchte. Das gilt auch für Fotos – hier macht eine Kennzeichnung ebenfalls Sinn, denn wenn zum Beispiel auf einem KI-gefaktem Bild Rauchwolken über dem Pentagon zu sehen sind, hat das Auswirkungen an der Börse. Es sollte Teil der Ausbildung und Bildung, Teil des Unterrichts werden, die Glaubwürdigkeit von Texten und Fotos einschätzen zu lernen. Besonders vordringlich scheint mir die Kennzeichnung von KI in der Schule oder an den Universitäten, eine Schul- oder Doktorarbeit darf einfach nicht an KI „delegiert“ werden.
Was bringt die neue Flexibilität in der Arbeitswelt mit sich?
Dort, wo geregelte Arbeit und wo arbeitsrechtliche Errungenschaften mit Füssen getreten werden, wird eine neue soziale Kluft spürbar. Im IT-Bereich ist Arbeit 7/24 ein wirkliches Thema, das Menschen finanziell große Möglichkeiten bietet, aber auch psychische Belastungen bringt.
Die Neue Selbstständigkeit war eine Bereicherung am Arbeitsmarkt, aber zum Beispiel beim Fahrradboten ist die Frage, ob das nicht eigentlich ein Angestellter ist. Der Übergang von selbstständiger und unselbstständiger Tätigkeit ist jetzt fließend, viele der neuen Selbstständigen haben arbeitnehmerähnliche Verhältnisse. Die neue Arbeitswelt wird jedenfalls ein höheres Maß an Flexibilität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bringen. Kernfrage ist, ob es einen fairen Deal gibt, ob Flexibiltät zum Nutzen beider Seiten dient. Derzeit kommt sie eher dem Arbeitnehmer zugute, weil dieser die Bedingungen in Verträgen leichter festlegen kann – es muss aber Aufgabe der Sozialpartnerschaft bleiben, faire Lösungen zu finden.
Welchen Stellenwert verdient Diversity in der Gesellschaft?
Das ist die fundamentale Frage eines respektvollen Umgangs miteinander. Dieser erfordert die Bereitschaft, andere so zu akzeptieren, wie sie sind. Ebenso kann ich nur nach Maßgabe der Möglichkeiten beurteilen, was jemand können kann. Wenn jemand nur eine Hand hat, kann er nicht mit Hammer und Meißel umgehen, dafür beherrscht er etwas anderes perfekt. Das Anderssein kann bei klugem Management sogar sehr positiv genutzt werden.
Eine Firma, die eine eigene Lehrlingsausbildung hat, hat vor vielen Jahren das Thema Ethik aufgegriffen, weil in den Kursen christliche, orthodoxe, muslimische, jüdische etc. Lehrlinge waren – die Begegnung muss schon in der Ausbildung erfolgen, wichtig ist, andere und ihre Religion kennenzulernen und etwas darüber zu erfahren, sowie einander mit Respekt zu begegnen.
Hinsichtlich der Menschen mit Beeinträchtigung heißt es diskutieren, ob das Behinderten-Einstellungsgesetz noch zeitgemäß ist. Jeder ist in der Lage eine Leistung zu erbringen nach Maßgabe seiner Möglichkeiten und jede dieser Leistungen ist für uns wichtig. Viele Unternehmer:innen, ob sie große oder kleine Betriebe haben, kennen ihre Mitarbeiter:innen gar nicht mehr. Aber es ist eine Grundvoraussetzung für Inklusion ist die Bereitschaft, sich stärker mit dem Einzelnen zu beschäftigen.
Wie sehen Sie die Thematik des Rechts auf Arbeit?
Man muss Respekt haben vor der Leistung, die jemand erbringt. Ich habe Probleme damit, wenn Leute zu Leistung fähig wären und nicht bereit sind, diese zu erbringen. Das ist dann eine moralische Frage. In dieser Hinsicht ist etwas verloren gegangen, eine Gesellschaft besteht nicht nur aus Rechten, sondern auch aus Pflichten. Wenn sich die Mitglieder der Gesellschaft nur mehr ihrer Rechte und nicht der Pflichten bewusst sind, wird das irgendwann zu einer sehr instabilen Gesellschaft führen.
Arbeit ist ein Privileg und ermöglicht ein menschenwürdiges Leben – das ist für mich ganz essenziell. In der Diskussion hat man manchmal das Gefühl, Arbeit entwürdige. Aber der Wert von Arbeit geht weit über das Materielle hinaus, Arbeit ermöglicht ein erfülltes Leben. Viele aus unserer Elterngeneration würden die heutigen Diskussionen gar nicht verstehen.
Ich habe das Recht mein individuelles Wohl anzustreben, aber es gibt auch einen anderen Wert, der heißt Gemeinwohl. Das ist für die junge Generation zum Beispiel im Umweltbereich selbstverständlich: Ich muss mein Verhalten ändern um die Umwelt und das Klima zu schützen.
Daher ja, es gibt das Recht auf Arbeit aber auch eine Verpflichtung des Einzelnen, jenen Beitrag zu erbringen, der ihr/ihm ein erfülltes Leben ermöglicht und dem Gemeinwohl dient.
Vielen Dank für das Gespräch!